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Die Teufelssonate

Die Teufelssonate

Titel: Die Teufelssonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex van Galen
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Sie stammte von einer Taube, die Senna tagelang gepflegt und dann vergessen hatte. Er blätterte auf gut Glück ein wenig durch die Seiten, bis er auf ein mit der Hand beschriebenes Blatt Papier stieß. Am Rand waren ein Name und eine Adresse notiert, die er nicht erkannte. Der Text selbst war eine Passage, die er wahrscheinlich aus einem anderen Buch übernommen hatte:
 
    Ende des 19. Jahrhunderts kursierte in Weimar und Bayreuth ein hartnäckiges, wenn auch nie bewiesenes Gerücht über eine geheimnisvolle Klaviersonate von Liszt, die sogenannte »Teufelssonate«. Liszt soll beim Komponieren dieses Werks von, wie er es später einem Schüler gegenüber beschrieb, »einer unbestimmten, aber deutlich wahrnehmbaren, fast überwältigenden, höheren Macht« besessen gewesen sein. Als er jedoch am nächsten Tag aufs Papier schaute, erkannte er die Melodie nicht mehr, und es kostete ihn beträchtliche Mühe, eine Komposition daraus zu machen. Liszt hat die Sonate nur einmal öffentlich gespielt. Kurz darauf hat er sich für immer von der Bühne zurückgezogen und ist in einen Priesterorden eingetreten. Den Gerüchten zufolge ist die Teufelssonate ein Werk von hypnotischer Schönheit, das zum Kompliziertesten gerechnet werden muß, das der Meister je komponiert hat. Falls das Werk tatsächlich existiert hat, so ist es verschwunden oder verloren gegangen. Der Legende zufolge sollen demjenigen, der in der Lage ist, die Sonate zu spielen, außergewöhnliche Kräfte zuwachsen, die ihn wahnsinnig oder unsterblich machen. Die Klänge der Teufelssonate sollen selbst Tote zum Leben erwecken können.
 
    An den Rand hatte er einen Namen geschrieben: Karl Süssmeier , aber er hatte keine Ahnung, warum. Er blätterte durch das Buch, um zu schauen, wo er die Passage herhatte, fand sie jedoch nicht. Ganz dunkel entsann er sich daran, es war ihm allerdings schleierhaft, warum Valdin sich dafür interessierte. In einer fernen Vergangenheit hatte Notovich sich in den Mythos von der Teufelssonate vertieft, daran erinnerte er sich nun wieder. Doch es war nicht mehr als das: ein Mythos. Und er konnte sich vorstellen, wo er herkam. Liszts Musik hatte etwas Besonderes. Ob es an den dunklen Leidenschaften lag, die darin verborgen waren, oder an der enormen Konzentration, die es erforderte, seine Kompositionen zu spielen, wußte Notovich nicht. Aber wenn ein Pianist sich ganz in Liszts Werk einfühlte, wurden manchmal besondere Kräfte frei. Ein Moment mystischer Vereinigung. Er hatte solche Momente gekannt und auch den damit verbundenen Rausch.
    Das erste Mal hatte er ein solches Erlebnis bei seinem Debüt in Paris gehabt. Damals stand die Sonate in h-moll auf dem Programm. Es war eines der wichtigsten Werke der Romantik, doch zu Liszts Zeiten konnte niemand etwas damit anfangen. Der Komponist Brahms schlief sogar ein, als er die Sonate zum ersten Mal hörte. Das Werk hat eine monumentale Architektur, die um ein einziges Grundmotiv herum aufgebaut ist. Senna fand, daß Notovich damit eröffnen sollte. Dieser Gedanke machte ihm angst. Noch kurz bevor er die Bühne betrat, zweifelte er. Wäre es nicht besser, mit etwas Einfachem zu beginnen, um hineinzukommen? Er mußte erst seine Nervosität bezwingen. Aber Senna wollte nichts davon hören und versuchte, ihn zu beruhigen.
    Der Saal war brechend voll. Notovichs Hände waren kalt vor Anspannung. Er ging in seine Garderobe und hielt die nackten Unterarme unter den heißen Wasserstrahl, damit seine Finger etwas geschmeidiger würden. Senna stand hinter ihm mit einem Handtuch bereit.
    »Du wirst sehen. Sobald du die erste Note anschlägst, bist du frei wie ein Vogel.«
    Er war nicht davon überzeugt. Bröll kam in einem glänzenden, neuen Anzug herein und versuchte, etwas Witziges zu sagen, um zu verbergen, daß er noch nervöser war als Notovich. Doch der hörte gar nicht hin und trocknete sich die Unterarme ab. Bröll sagte, daß es in zwei Minuten soweit sei, und ging wieder. An der Tür küßte Senna Notovich auf den Mund.
    Sie wünschte ihm Erfolg.
    »Wirst du im Saal sitzen?«
    Sie wich der Frage aus.
    »Senna, du scheust dich doch nicht etwa immer noch, mit mir gesehen zu werden?«
    »Natürlich nicht.«
    Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, daß sie log.
    »Geht es um diesen anderen Kerl? Hast du immer noch Angst vor ihm?«
    »Ich möchte jetzt nicht darüber reden. Du mußt gleich auf die Bühne.«
    »Das ist mir egal!«
    »Mischa, wenn du das hier gut überstehst, dann brauchst du mich

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