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Die Teufelssonate

Die Teufelssonate

Titel: Die Teufelssonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex van Galen
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Glückspaket. Er war erstaunt, wie billig Kokain geworden war und wie teuer die Frauen.
    Die Leichtigkeit, mit der Notovich sein Repertoire aus der Zeit vor Paris bewältigte, war erstaunlich. Er strotzte vor neuen Ideen. Es gab nur ein kleines Problem. Bröll hatte Notovich vorsichtig klargemacht, was das Publikum von ihm erwartete. Ihm sei es ja egal – Notovich brauche sich auch nicht darum zu scheren –, aber wäre es nicht großartig, wenn er sein Konzert mit einem Stück von Liszt beenden würde? Der Sonate in h-moll zum Beispiel? Notovich schob die Entscheidung hinaus, übte das Stück nicht und konzentrierte sich zunächst auf andere Dinge. Er stellte die Partitur auf den Notenständer, legte sie wieder weg. Morgen vielleicht.
    In dieser Nacht machte er einen Spaziergang an den Grachten. Auf einmal sah er im Dunkeln zwei leuchtende Augen, die ihn aus einem Hauseingang anstarrten. Er lief schneller und war sich fast sicher, Schritte hinter sich zu hören. Er hoffte beinahe, daß es die Polizei war, die ihn beschattete, das würde wenigstens bedeuten, daß er sich nichts einbildete. Erst eine halbe Stunde später kam er nach einem großen Umweg zu Hause an. Er war verschwitzt und außer Atem.

22
    D ie Panik brach mit der gnadenlosen Präzision und Geschwindigkeit einer Blitzoffensive über ihn herein. Er zwang Natasja, sich das zentrale Werk seines Programms, die Kreisleriana von Schumann, dreimal anzuhören, wobei er jedesmal Variationen anbrachte, die für das normale Ohr nicht wahrnehmbar waren. Natasja versuchte vergeblich, ihn zu beruhigen. Dann wollte er plötzlich die Verträge mit den Theatern sehen. Bröll wurde mit dem ganzen Papierkram herbeizitiert. Warum standen seine Forderungen da nicht schwarz auf weiß? Wieso war das eine Frage des Vertrauens? Sollte er unbesehen glauben, daß er eine Garderobe mit einem Klavier bekam? Daß die Klavierstimmer seine Anweisungen auch tatsächlich ausführten? Daß das Licht gedämpft würde? Da sei Bröll aber sehr gutgläubig. Begriff er denn nicht, daß die Kritiker und das Publikum ihn liebend gern lynchen würden, wenn er auch nur eine falsche Note spielte?
    Als die Tirade andauerte, setzte Bröll Notovich kurzerhand ins Auto und brachte ihn zu Nicole. Dort drückte er so lange auf alle Klingelknöpfe, bis jemand öffnete. Oben trat Nicole in den Flur hinaus. Sie war ungeschminkt und trug einen scheußlichen Trainingsanzug. Es war ihr freier Tag. Bröll sprach die historischen Worte: »Krieg das hin, oder ich hau ihm eine runter.«
    Nicole fing zunächst von seiner Medikation an. Als sie sah, daß er nicht darüber reden wollte, machte sie ihm eine heiße Schokolade. Dann gingen sie ins Arbeitszimmer. Sie hatte einen langsam schrumpfenden Sahneschnurrbart, von dem er die Augen nicht abwenden konnte. Nicoles Fragen klangen von weit her; es schien eine Sprache zu sein, die er seit Jahren nicht gesprochen hatte. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, die Tabletten so abrupt abzusetzen, aber das würde er jetzt nicht mit ihr besprechen. Er würde es ihr später erzählen. Zum ersten Mal hatte er wieder Inspiration in sich gespürt. Das konnte niemand verstehen, auch sie nicht.
    Sie ließ ihn reden. Langsam beruhigte er sich. Er versprach, sich nicht mehr um die Details des Auftritts zu kümmern. Er versprach, an diesem Abend eine Schlaftablette zu nehmen.
    Endlich entließ sie ihn. Er rief sofort Natasja an.
 
    Als sie am nächsten Morgen in seine Wohnung kamen, stand Linda in der Küche und kochte.
    »Oh, schön, du bist sicher eine Studentin von ihm?« fragte sie ohne jede Spur von Ironie.
    Es war einen Moment still.
    »Linda, das ist Natasja. Natasja, das ist meine Schwester.«
    Linda betrachtete Natasja noch einmal, als ob sie nicht richtig gehört hätte. Dann schaute sie Notovich erstaunt an. Er zog verlegen das Besteckfach auf und kramte in den Messern. Linda fragte nicht weiter und holte einen dritten Teller aus dem Schrank. Beim Essen führte sie fast ununterbrochen das Wort. Sie erzählte Geschichten aus ihrer gemeinsamen Jugend, die ihn kleiner machten, Linda größer und Natasja zu einer Außenstehenden.
    »Und einmal, da wußte Mischa während der Heiligen Messe nicht, woran er sich die Nase abwischen sollte«, begann Linda eine weitere Anekdote. Es war eine Einweihung in die Familienmythen, die für Natasja viel zu früh kam, aber sie lächelte höflich und ergriff unter dem Tisch seine Hand. Ein Gefühl der Rührung durchströmte

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