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Die Teufelssonate

Die Teufelssonate

Titel: Die Teufelssonate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex van Galen
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war eines der späteren Werke Beethovens.
    Die Tempoangabe über dem ersten Teil lautete vivace ma non troppo  – lebhaft, aber nicht zu sehr. »Lebhaft« hatte seiner Meinung nach nichts mit Schnelligkeit zu tun, wie viele andere Pianisten dachten. Im Gegenteil. Er spielte den ersten Teil am liebsten so langsam wie möglich. Eine Interpretation, die von Kritikern als exzentrisch angesehen wurde. Er fand jedoch, daß es der Anweisung des Komponisten eine tiefere Bedeutung verlieh.
    Gleich bei den ersten Noten gelang ihm ein schöner, runder Ton. Seine Finger waren geschmeidig und treffsicher. Im Saal war es mucksmäuschenstill, Notovich genoß von der ersten Sekunde an vollste Aufmerksamkeit. Schon bald war er allein mit seiner Musik. Mittendrin erhöhte er das Tempo doch etwas. Das geschah automatisch durch die leichte Euphorie, die er aufkommen spürte. Der erste Teil war vorbei, ehe er sich's versah.
    Gerade als er das Prestissimo anstimmen wollte, hörte er ein Knarren in den Kulissen. Hatten sie jemandem Zutritt zur Bühne gewährt? Er machte eine kurze Pause und versuchte, sich neu zu konzentrieren. Da war wieder ein Geräusch. Es war kein Stuhl; es klang, als ob sich jemand auf ein Ledersofa setzte. Er blickte hoch. Hinter dem Vorhang an der Seite der Bühne stand Valdin in einem glänzenden, schwarzen Ledermantel.
    Sofort waren die Ruhe und das zarte Selbstvertrauen dahin. Sein Herz fing an, unkontrollierbar zu galoppieren. Was wollte Valdin hier? Hatte er vor, gleich auf die Bühne zu laufen, um ihn vom Flügel wegzudrängen? Damit er zeigen konnte, wer der Bessere war? War das das Duell, von dem er sprach? Valdin grinste hochmütig. Er machte mit der Hand eine Drehbewegung, als wolle er Notovich ermuntern weiterzuspielen.
    Der würde sich nicht von seiner eigenen Bühne verjagen lassen. Wie krank mußte jemand sein, um einen Kollegen während eines Auftritts zu belästigen? Das war reine psychologische Kriegsführung, und Notovich hatte nicht vor, sich zu ergeben. Er griff mit einem Prestissimo und Fortissimo an. Das funktionierte. Zumindest die ersten Takte lang. Aber er war nicht mehr voll auf die Musik konzentriert. Mit einem Ohr lauschte er auf neue Geräusche aus den Kulissen. War das Valdin, der sich gerade räusperte? Oder bewegte er sich? Verdammt, er durfte sich jetzt keine Blöße geben. Er mußte der Welt zeigen, wer er war und was er konnte. Daß er noch immer mit seinem brillanten Spiel zu erstaunen, zu rühren und zu verstören verstand. Das war der Moment, Valdin in die Schranken zu weisen und den Kampf zu beenden, ehe er begonnen hatte.
    Doch es war ihm, als ob er Valdin lächeln sehe. Einer falschen Note folgte noch eine und noch eine. Ein paar Takte später fing er an nachzudenken, welche Noten er spielen mußte. Das war der Todesstoß. Er hörte mitten in einer Passage auf, seine Hände blieben verkrampft über den Tasten hängen.
    Die Welt um ihn herum begann sich zu drehen. Lag es an ihm, oder war aller Sauerstoff aus der Luft herausgesaugt? Nur jetzt nicht ohnmächtig werden, nicht vor einem vollen Saal. Schwankend machte er ein paar Schritte.
    »Wer hat diesen Kerl hereingelassen?« fragte Notovich so beherrscht wie möglich. Und dann lauter, in den Saal: »Wer hat, verdammt noch mal, diesen Kerl hereingelassen? Es ist eine Schande!«
    Gab es einen Notausgang? Nein. Die Tür – er mußte zur Tür. Er drehte sich um. Durch das runde Fenster sah er schon das erlösende Neonlicht scheinen. Im Vorbeigehen packte ihn jemand am Arm.
    »Maestro? Geht es? Soll ich einen Arzt rufen?«
    Notovichs Hände flogen an Valdins Kehle und verbissen sich in dem blassen Fleisch. Der Franzose wehrte sich zuerst belustigt, aber Notovich fühlte sich plötzlich von einer unaufhaltsamen Kraft getrieben. Er verstärkte seinen Griff, bis in Valdins Augen wirkliche Todesangst zu sehen war. Bröll stürzte hinzu, um die beiden zu trennen, doch Notovich trat den kleinen Agenten mit einer wilden Bewegung von sich weg.
    »Was willst du von mir, du Scheißkerl?« zischte Notovich Valdin zu. Zwei Mitarbeiter eilten herbei. Sie versuchten, den Franzosen zu befreien, aber Notovich hielt seine Hände fest geschlossen. Da erst drang Brölls Flehen zu ihm durch. Er ließ Valdin langsam los und ging schweigend davon.
 
    Er hatte keine Ahnung, wie er nach Hause gekommen war – wahrscheinlich zu Fuß. Er wollte sich aufs Bett legen, aber komischerweise sprudelte er geradezu vor Energie. Er lief im Zimmer auf und ab,

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