Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
dass sie nicht hier ist, dass sie bewusstlos in einem Krankenhausbett im Söderkrankenhaus liegt.
Ihre Abwesenheit ist mit Händen greifbar. In einem kleinen Team werden alle Personen so sichtbar. Trotzdem sprechen wir nicht darüber. Wir haben uns langsam daran gewöhnt, schicken Blumen ins Krankenhaus, warten aber noch mit einem Besuch bei ihr, lassen die Rezeption und den Aktenschrank ungefähr in dem Zustand, wie sie alles verlassen hat.
Sven zeigt in keiner Weise, was er eigentlich von dem Ganzen hält, von den vielen Verhören der Polizei mit ihm. Ich frage mich, was er wohl denkt, wenn er jeden Tag die Treppen zur Praxis hinaufgeht. Was für ein Gefühl es ist, meinen und Ainas Blicken am Küchentisch zu begegnen. Ob er sich wohl nach einem neuen Arbeitsplatz umschaut. Ich sehe, wie unsere Praxisgemeinschaft an den Rändern bröckelt wie ein Stück Würfelzucker in heißem Tee. Das, was einmal ein gemütlicher, schöner Arbeitsplatz war, geprägt von dem Gefühl,
etwas Selbstbestimmtes zu tun, hat sich jetzt in etwas Unsicheres, Diffuses verwandelt.
Ich höre, wie die Praxistür geöffnet wird, und ich weiß, es ist Aina, die von einer Ausstellung zurückkommt. Sie schwebt mit glühend roten Wangen und knisterndem, elektrisch aufgeladenem Haar herein und bringt eine Welle kalter Luft und kristallklaren Frostes mit sich. Mit Schwung landet eine braune Papiertüte auf dem Küchentisch.
»Frisch gebackene Zimtschnecken aus der Konditorei. Nimm eine!«
Ich schüttle nur den Kopf, bin nicht in der Lage, Kuchen in mich zu stopfen.
»Wie läuft es mit der Wohnung?«
Sie sieht mich neugierig an.
»Gut, danke. Du weißt, dass ich dir wirklich total dankbar bin.«
»Ach, hör auf«, unterbricht sie mich, »du weißt, wenn es nach mir gegangen wäre, dann wärst du schon vor langer, langer Zeit aus diesem verdammten Haus ausgezogen. Nachdem Stefan gestorben ist. Ich habe es nie verstanden, warum du unbedingt dort wohnen bleiben wolltest. Und wie es jetzt aussieht … ja, da ist das ja wohl das Wenigste, was ich tun kann.«
Sie reißt die Papiertüte auf und holt eine riesige Zimtschnecke heraus, um sofort von ihr abzubeißen, während sie sich gleichzeitig aus dem Mantel windet, ihn über einen Stuhl wirft und sich auf einen anderen fallen lässt. Sie sieht müde aus. Unvermeidlich ist auch unsere Beziehung von den Geschehnissen im Herbst beeinflusst worden. Aina war immer da, um zuzuhören. Hat sogar eine Wohnung für mich gefunden. Sie fordert dafür nichts zurück, aber ich weiß, dass sie trotzdem von mir enttäuscht ist. Verärgert, weil ich nicht auf sie höre. Weil ihre guten Ratschläge an mir abprallen.
»Gibt es etwas Neues von den Ermittlungen?«, fragt Aina, den Mund voll mit Zimtschnecke.
»Nicht viel. Doch, etwas. Die Polizei hat Fußspuren gefunden von demjenigen, der Ziggy umgebracht hat. Von einem Mann. Und dann gab es da jemanden, der am selben Tag dort einen schwarzen Volvo gesehen hat.«
»Einen schwarzen Volvo?«
Aina hört auf zu kauen, ihr Mund bleibt leicht offen stehen, so dass ich die halb zerkaute, mit Speichel vermischte Schnecke sehen kann.
»Nicht etwa einen Volvo-Crosscountry? So einen, wie dein Vater einen hat?«
Ich nicke und frage mich, woher sie das wissen kann.
»Ich kenne noch jemanden, der einen schwarzen Crosscountry hat. Und ich bin mir da ganz sicher, weil ich ihm einmal auf dem Parkplatz fast hinten rein gefahren wäre.«
Ein winziger Krümel von der Schnecke fällt Aina aus dem Mund und landet auf dem Küchentisch.
»Und wer?«
Aina wischt sich mit dem Handrücken über den Mund und sagt mit leiser Stimme, während sie sich zu mir vorbeugt, als würde sie mir ein Geheimnis verraten:
»Peter Carlsson, der hat einen schwarzen Crosscountry.«
Vijay krümmt sich im schneidenden Wind zusammen, sein dünner Mantel flattert wie ein zerfetztes Segel hinter ihm. Wir haben sein Arbeitszimmer an der Universität verlassen und gehen an der Brunnsviken entlang zum Hagapark spazieren. Es ist ein schöner Tag. Zum ersten Mal seit zwei Wochen scheint die Sonne. Der Himmel ist hellblau, und dünne, schleierartige Wolken ziehen schnell Richtung Norden. Nur die kräftigen Windböen stören, die uns auf dem schmalen Fußweg fast umwerfen. Der Schnee ist geschmolzen und hat glatte, feuchte Eisflecken hinterlassen. Ich verliere fast das Gleichgewicht, und Vijay fasst mich am Arm.
»Sei vorsichtig, Siri!«
Sein Kommentar klingt so schicksalsschwer, dass ich lachen muss.
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