Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
der Job der Polizei, die Bösen zu schnappen. Die Halunken. Das ist eine Tatsache, die ich seit frühester Kindheit in meinem Unterbewusstsein mit mir trage. Die Polizei fängt die Gauner und beschützt die Schwachen. In einer unendlichen Anzahl von Büchern, Zeitschriften und Filmen, die mich während meines Aufwachsens begleitet haben, war das Muster immer gleich.
In Wirklichkeit stellt sich das jetzt anders heraus. Die Polizei kann die Person nicht fangen, die mich jagt. Und die Polizei kann mich auch nicht beschützen. Was teilweise damit zusammenhängt, dass ich ihnen nicht gestatte, mich zu beschützen. Aber der Grund, warum ich diese Befragungen und diesen Schutz so sinnlos finde, der liegt möglicherweise tiefer. Nie zuvor habe ich so wenige Möglichkeiten gehabt, mein eigenes Leben zu bestimmen. Es gibt nur einen Weg, den ich beschreiten kann, und diesen Weg hat jemand anderes für mich abgesteckt. Ich habe das sonderbare Gefühl, dass mein Schicksal besiegelt ist, dass ich wie in einem griechischen Drama meinem eigenen Untergang entgegengehe und dass ich nichts tun kann, um es zu verhindern. Vom Verstand her ist mir klar, dass meine Gedanken unrealistisch sind, depressiv, aber ich bin nicht in der Lage, diese schicksalsschweren Gedanken aus meinem Kopf zu vertreiben.
»Wir machen eine ganze Menge, Siri.«
Sonja sieht mich mitleidig an, und das ist mir plötzlich peinlich.
Natürlich ist mir klar, dass die Polizei tut, was sie kann. Aber wenn selbst ich nicht weiß oder vermute, wer so einen Hass gegen mich entwickelt haben kann, wie soll es dann die Polizei herausfinden?
»Wir haben Ihre Kollegen auch schon mehrere Male befragt, wie Sie vielleicht bereits wissen.«
Ich nicke bestätigend.
»Wir untersuchen alle denkbaren Gewaltverbrechen, von denen wir uns denken können, dass sie mit dieser Sache hier in Verbindung stehen.«
Wieder nicke ich.
»Außerdem haben wir uns mit der Profilertruppe der zentralen Kripobehörde in Verbindung gesetzt. Haben betont, dass Ihr Fall höchste Priorität hat und dass Sie sich in Gefahr befinden. Die Person, die wir suchen, hat sich bereits eines Mordes schuldig gemacht. Wir wissen, dass er nicht im Affekt gehandelt hat. Er ist also in der Lage, seine Taten gezielt auszuführen. Das hier ist keine normale Mordermittlung.«
Sonja schweigt, und ich ahne, dass sie fürchtet, zu viel gesagt zu haben.
»Aber ich muss Sie noch einmal darum bitten, darüber nachzudenken, welche Personen aus Ihrem näheren Bekanntenkreis Ihnen möglicherweise Böses wollen. Mag es auch noch so weit hergeholt erscheinen.«
Ich war bereit – so bereit, wie überhaupt möglich -, als ich vor ihrem Haus stand, den blauen Rucksack in der Hand.
Aber…
Sie war nicht da. Eigentlich hätte ich es schon ahnen müssen, als ich mich durch den dichten Nadelwald ihrem Haus näherte und sah … oder… eher war es das, was ich nicht sah, was mich hätte stutzig machen müssen: keine erleuchteten Fenster, keine halbleeren Weingläser auf dem Küchentisch. Keine Bewegung. Nicht ein Geräusch.
Sie war untergetaucht. Ich hatte erwartet, dass es so kommen würde, und eigentlich änderte das nichts an meinen Plänen, denn ich wusste, wie ich sie ausräuchern und dazu bringen konnte, zurückzukommen. Alles war vorherbestimmt. Jetzt brauchte ich nur noch an ein paar Fäden zu ziehen, um den Ereignissen dann ihren Lauf zu lassen, das Schicksal in die richtige Richtung zu schubsen.
Ich drehte mich um und ging zurück zur Landstraße. Es war an der Zeit, einen anderen von Siris verdrehten Patienten zu besuchen.
Über die Dunkelheit.
Ich denke, das Leben hat mich einiges über die Dunkelheit gelehrt. Über die Schwärze, die sich in die Seele drängt, wenn man es am wenigsten ahnt. Als würde man merken, dass die Gummistiefel nicht dicht sind, auf halbem Weg durch den Sumpf. Das gleiche kalte, klebrige Gefühl.
Es kommt vor, dass ich es bei einigen meiner Patienten spüre.
Es erahne.
Manchmal genügt es, die Tür einen Spalt offen zu lassen, damit die Dunkelheit wieder hinausfließt. Aber meist ist man sich dessen nicht bewusst. Man schaut die Menschen um sich herum an. Sie erscheinen normal, machen normale Dinge, leben ihr höchst gewöhnliches Leben. Es ist schwer zu begreifen, wie viel Dunkelheit in einem Menschen Platz findet.
Schwer, sie zu fassen.
Noch schwerer ist es natürlich, sich vorzustellen, dass ein Freund oder ein Kollege davon erfüllt sein soll. Kontrolliert wird von all dem
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