Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
Kopf. Das sah Stefan nicht ähnlich, diese pedantische Ordnung. Das nächste Papierbündel, mit dem Vermerk »WICHTIGE PAPIERE«, war auch unbegreiflich gut sortiert. Versicherungsscheine, die Kaufunterlagen für das Haus, Kontoauszüge von der Bank – unser ganzes gemeinsames Leben und Wohnen in einer Handvoll Papiere dokumentiert.
Ich blätterte wahllos zwischen den Belegen, schaute auf Ziffern, die besagten, was wir besaßen, ohne sie wirklich zu sehen oder ihre Bedeutung zu verstehen. Wie gut, dass alles hier lag, das würde meinem Vater, der sich um alles Finanzielle kümmern wollte, die Arbeit sehr erleichtern, ging es mir durch den Kopf, als meine Gedankenflüsse von etwas anderem unterbrochen wurden: einer Unruhe, einem Sog, einem schnell sich entziehenden Gefühl. Wie ein falscher Ton in einem gut komponierten Musikstück, kaum hörbar, aber dennoch zu vernehmen. Da gab es etwas, was mit all diesen so gut sortierten Papieren nicht stimmte. Stefans Papiere waren nie gut geordnet gewesen. Ich hatte immer viel Zeit damit verbracht, Stefans Papiere und Dinge in Ordnung zu halten.
Ich öffnete die unterste Schublade. Sie enthielt nur einen Papierbogen. Ein dünnes, zerknittertes, handbeschriebenes Stück Papier mit Fettflecken darauf – es sah fast so aus wie Butterbrotpapier -, sorgfältig in der Mitte geknickt und mit der Anmerkung »Für Siri« versehen. Der schummrige Raum
erschien mir plötzlich stickig, und ich stand auf, um die Terrassentür zu öffnen. Kalte, raue Luft füllte meine Lunge, und ich hörte die Schreie der Möwen, aufdringlich und scharf, als ich mich am Türpfosten festhielt.
Mit zitternden, unbeholfenen Fingern gelang es mir, das Papier auseinanderzufalten. Es war ein Gedicht.
Hab keine Angst vor der Finsternis,
das Licht, es ruht darin so sehr.
Wir sähen keine Sterne,
wenn nicht das Dunkel wär.
Der helle Irisring
birgt selbst die finstere Pupill,
denn finster ist doch alles,
zu dem das Licht gern streben will.
Hab keine Angst vor der Finsternis,
das Licht, es ruht darin so sehr,
hab keine Angst vor der Finsternis,
das Herz des Lichts, und noch viel mehr.
Auf der Götgatan schieben sich die Autos langsam Richtung Süden durch den dichten Schneefall. Es ist Rushhour, und die Menschen ducken sich und gehen schnell und entschlossen zum Eingang der Untergrundbahn. Kälte und Feuchtigkeit dringen unter meinen Wollmantel. Ich bin zu dünn angezogen, aber ich habe es nicht über mich gebracht, in das verlassene Haus auf Värmdö zu fahren, um wärmere Winterkleidung zu holen. Immer noch fällt es mir schwer zu akzeptieren, dass ich gezwungen war, mein Zuhause zu verlassen, obwohl ich mich sicherer fühle in der kleinen Einzimmerwohnung in Kungsholmen.
Ich arbeite wieder mehr, keine neuen Patienten, nur die alten. Der Kontinuität zuliebe, wie ich mir einrede, der Kontinuität der Patienten zuliebe. Die Wahrheit ist wohl auch, zumindest teilweise, dass ich es nicht aushalte, tagelang allein in der kleinen, trübsinnigen Wohnung in der Hantverkargatan zu hocken.
Es ist etwas Merkwürdiges mit der Zeit passiert. Ich habe aufgehört, länger als für ein paar Wochen zu planen. Ich habe das Gefühl, als ob die Zeit, meine Zeit, sich langsam, aber sicher dem unausweichlichen Ende oder einer Entscheidung nähert. Ich werde nicht ewig der Person entfliehen können, die mir Übles will. Und auf diese Art zu leben, bedroht, gehetzt, macht mich erschöpfter, als ich es für möglich gehalten hätte. Ich glaube nicht mehr, dass ich entkommen kann, und ich sehe keine Möglichkeit zurückzuschlagen. Ich fühle mich in
einer erstarrten Position wie festgefroren. Nur zusammen mit Markus spüre ich kleine, vorsichtige Zeichen der Hoffnung.
Ich biege von der Götgatan ab und eile an den hohen Häusergiebeln der Blekingegatan entlang, bis ich zum Pelikan komme. In der Bierkneipe ist es angenehm warm und trocken. Zum hohen Dach hinauf steigt das Gemurmel der Gäste und die Luft, erfüllt mit Essensdunst.
Markus sitzt schon da und blättert in einer Abendzeitung. Einen kurzen Moment kann ich der Versuchung nicht widerstehen, ich betrachte ihn aus der Entfernung, während er mich noch nicht entdeckt hat. Ich nehme das Bild von ihm in mir auf. Registriere, wie seine Hand mit der Snusdose spielt, die neben ihm liegt. Wie sein Haar von der Feuchtigkeit fast wie an die Schläfen angeklebt wirkt. Etwas an seiner Haltung lässt mich erahnen, dass er frustriert ist. Obwohl er mit der Zeitung
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