Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
auseinanderzusetzen. Das Behandlungsprinzip beruht auf der Einsicht, dass Unbehagen und Angst sich verringern, wenn man aufhört, spezielle Gedanken und Situationen zu vermeiden. Das klingt einfach, ist aber unglaublich schwierig für die Patienten und erfordert viel Mut und außerdem Vertrauen zum Therapeuten. Im vorliegenden Fall verspüre ich trotz allem eine gewisse Unschlüssigkeit, und mir ist klar, dass ich die Unterstützung eines erfahreneren Kollegen brauche.
Aber es gelingt mir, Peter zu beruhigen, indem ich ihm erkläre, was Zwangsvorstellungen sind, und ihm erkläre, dass sein Problem mit großer Wahrscheinlichkeit gelöst werden kann. Wir vereinbaren einen neuen Termin, und als wir uns trennen, meine ich ein Leuchten in seinen Augen zu sehen.
Vielleicht ist das Hoffnung.
Nach Peters Besuch gehe ich in die winzige Küche der Praxis. Ich bin von dem Gespräch mit ihm ziemlich mitgenommen. Seine Probleme sind teilweise Neuland für mich, und ich weiß nicht so recht, wie ich mit seiner Problematik umgehen soll. Zwar habe ich Zwänge schon früher behandelt, auch sexuelle Zwänge.
Aber das hier?
Vielleicht kann die Tatsache, dass ich eine Frau bin, die Therapie erschweren? Vielleicht sollte ich ihn an Sven überweisen, aber ich brauche auch meine Patienten, denn sie sind es, die mein Gehalt bezahlen.
Ziggy ist weg. Ich kann es nicht länger leugnen, es ist eine Tatsache. Seit einer Woche habe ich seinen rundlichen, grauen Körper nicht mehr gesehen. Natürlich ist er immer mal wieder verschwunden, um Abenteuer in den Nadelwäldern am Strand entlang zu erleben, aber noch nie so lange. Ich habe im Garten gesucht, am Anleger und im Wald zwischen dem Haus und der Straße. Habe die Baumkronen gemustert für den Fall, dass er hinaufgeklettert ist und nicht mehr herunterkommt. Ich habe Schalen mit seinem Lieblingsfressen auf den Rasen gestellt und gewartet. Denn ich war mir sicher, dass er bald zurückkommen würde, seinen weichen Körper neben mir im Bett einrollen und unberührt von meiner Unruhe seinem üblichen, unbekümmerten Katzenleben nachgehen würde.
Deshalb stehe ich also an diesem Abend wieder draußen und spähe über das kleine Rasenstück, das sich wie eine zottelige, sonnengebleichte Decke bis zu den sanft gerundeten, grauen Granitklippen erstreckt. Am Nebengebäude wuchern meterhoch die Brennnesseln entlang. Jedes Frühjahr überlege ich, dass ich sie ausgraben sollte, was aber nie passiert. Manchmal kann ich mich geradezu ausruhen in meiner Unfähigkeit zur Veränderung, sie scheint in einer Welt, in der nichts mehr konstant und verlässlich erscheint, die einzige Sicherheit zu bilden. Also heiße ich meine Passivität willkommen und denke voll Selbstmitleid, dass man nach so einer Ohrfeige, wie ich sie bekommen habe, nicht einfach wieder aufstehen und weitermachen kann, als wenn nichts gewesen wäre. Das wäre
ungefähr, als stiege man aus einem brennenden Autowrack, bürstete sich lächelnd die Ascheflocken ab und fragte, wie spät es ist oder ob sich in der Nähe ein nettes Lokal befindet.
Ich sehe es oft bei meiner Arbeit: wie Menschen sich Eigenheiten und manchmal geradezu schädliche Verhaltensweisen als Schutz gegen das Leben aneignen. Ich zwinge sie dann immer, sich mit ihren Ängsten zu konfrontieren. Sie zu bezwingen. Zu wagen, im Jetzt zu leben, wie es nun einmal ist. Auch wenn es wehtut. Ich weiß genau, wie man das macht, es gibt wohlerprobte Methoden.
Nur dass ich selbst es nicht schaffe.
Die letzten Sonnenstrahlen tauchen die Klippen draußen in ein feuriges Rot, und mich überläuft ein Schaudern – während ich immer noch hinter meiner Terrassentür in der nassen Badehose nach meiner Schwimmrunde stehe, eine Handfläche auf der Fensterscheibe.
Ein leises Kratzen stört mich in meinen Überlegungen. Als ob ein dünner Zweig gegen meine Haustür kratzt. Ein leises … Schaben. Als ob ein Dutzend Fingernägel kraftlos über Stoff kratzt.
Meine erste Reaktion ist Angst. Sie kommt instinktiv und ohne dass ich bewusst über die Situation nachdenke. Plötzlich sind all meine Sinne geschärft: Ich kann deutlich einzelne Kiefern sich gegen den karottenfarbenen Himmel abzeichnen sehen, die verwelkten Blütenstände des Wiesenkerbels am Rand des Rasens, die an ein stilisiertes Feuerwerk vor dem Hintergrund des kompakten grauen Felsens erinnern.
Und das Geräusch.
Als schriebe ein Kind mit einem Bleistift auf meiner Tür. Ein vorsichtiges, trockenes Kratzen, das zu-
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