Die Therapeutin - Grebe, C: Therapeutin - Någon sorts frid
sagt er und setzt sich neben mich aufs Sofa.
Und ich erzähle. Darüber, dass Saras Freund möglicherweise nach einer Vater-Tochter-Beziehung gesucht hat oder davon ausgegangen ist, dass er in so einer Beziehung gelandet ist. Über den Abschnitt, in dem Sara andeutet, dass er ein Kind hat, eine Tochter, die ihr ähnlich ist. Markus hört aufmerksam zu. Seine Kollegen und er haben alle Bänder durchgesehen, aber genau das ist ihnen nicht aufgefallen, berichtet er.
Schließlich erzähle ich ihm auch von meinen Gedanken hinsichtlich der Schuld, davon, dass ich mich frage, ob ich irgendwelche Schuld trage, indirekt oder direkt, an dem, was Sara und Marianne zugestoßen ist. Stefan erwähne ich nicht. Es fällt mir zu schwer, darüber zu reden.
Ich habe erwartet, dass er meine Überlegungen vom Tisch
wischt und mir versichert, dass es selbstverständlich nicht mein Fehler ist, stattdessen zuckt er nur mit den Schultern und schaut aus dem Fenster.
»Wir sitzen wohl im selben Boot.«
»Sie und ich?«
»Alle. Alle Menschen«, erklärt er und beißt in einen Apfel.
»Alles, was wir tun. All unsere Handlungen, die wir ausführen, ohne die Konsequenzen überschauen zu können. All die komplizierten Verbindungen zwischen den Geschehnissen, die Beziehungen zwischen den Menschen. Du ziehst an einer Seite an einem Faden, und auf der anderen Seite kippt jemand tot um. Die Schuld von niemandem oder von allen? Aber für mich ist die Absicht wichtiger als die Ursache. Die Ursache ist etwas Mechanisches, die Absicht hat eine Richtung, eine eigene Kraft.«
Ich nehme ihm den anderen Apfel aus der Hand und beiße hinein, ohne etwas zu sagen. Sein Kommentar überrascht mich. Irgendwie habe ich nicht erwartet, dass er eine so durchdachte und wohlformulierte Ansicht äußern würde. Irgendwie bin ich davon ausgegangen, dass er weniger kultiviert ist.
Eher banal.
Ein Mann, für den man keine Gebrauchsanweisung braucht. Ein Mann, dessen Reaktionen man in allen Lebenslagen voraussehen kann. Und ihnen parieren, wenn es nötig sein sollte.
»Whatever«, sagt Markus und sieht mich aus Augen an, die rotgerändert sind von der nächtlichen Arbeit.
»Eine Sache frage ich mich doch. Marianne, sie ist ja immer noch bewusstlos. Ich müsste ein wenig mehr von Ihnen und Ihren Kollegen über sie erfahren, um mir ein besseres Bild machen zu können von ihr, wie sie ist und wie sie lebt. Was hat sie beispielsweise in ihrer Freizeit gemacht?«
»Das weiß ich gar nicht. Ist das nicht merkwürdig? Man
trifft jemanden jeden Tag, und trotzdem lernt man ihn nie kennen. Nicht richtig.«
»Das kommt die ganze Zeit vor.«
»Ich glaube, es ist Christer, ihr Freund, der Marianne am besten kennt.«
»Und was wissen Sie über ihn?«
»Nicht viel. Marianne hat ihn als freundlich, nett beschrieben, ja, und als eine Stütze für sie. Er war ihr wohl eine große Hilfe bei ihrer Karriere, oder wie man es auch immer nennen will. Hört ihr zu, versteht sie und so weiter. Ich glaube, er ist oder er war in der Finanzbranche.«
»Ja, das hat er gesagt. Wie ist Ihr Bild von ihm?«
»Nun, ich weiß nicht. Es ist ja nicht so, dass ich ihn besonders gut kenne. Ich habe ihn nur ein paar Mal getroffen. Aber er scheint begabt und … ein wenig empfindsam zu sein. Hat wohl Interesse an vielem; Musik, Kunst. Klug genug, nicht prätentiös zu wirken, obwohl er das ist… na, Sie wissen schon.«
Markus sagt nichts, beißt nur in seinen Apfel und schaut übers Meer.
Nachts träume ich wieder von Stefan. Ich spüre seine Nähe ganz intensiv im Traum, sein Geruch ist in meinen Nasenflügeln, seine Haut fast in Reichweite meiner Hände, aber er ist nicht da. Verschwitzt und in Panik, als hätte ich Fieber, eile ich im Haus und auf dem Grundstück herum, um ihn zu finden. Ich hebe die dornigen Zweige der Rosenbüsche hoch, voll mit dunkellila Knospen, die kurz vorm Bersten sind. Ich irre zwischen den Kiefern herum, stolpere über Tannenzweige und falle hin. Das feuchte, weiche Goldene Frauenhaarmoos fängt meinen Körper vorsichtig auf.
Auf den Felsen bleibe ich stehen und schaue übers Meer, das eine sonderbare, kupferähnliche Farbe zeigt. Als ich meinen Blick gen Himmel richte, sehe ich, dass er sich die Farbe vom Meer geliehen hat – braunrot und unheilverkündend hängt der Himmel tief über der Bucht. Ich gehe zu meinem kleinen wackligen, geteerten Anleger und setze zögernd meinen Fuß auf die dünnen Bretter, bin mir bereits bewusst, was ich finden werde:
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