Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
Vom Netzwerk:
unser Plan mißglückt und die Chinesen uns vernichten, so sterben wir eben. Aber niemals wird der Vorwurf auf uns lasten, wir hätten nicht alles gewagt, um Seine Heiligkeit und unser Land zu retten.«
    Asuktsang machte eine Pause. Dann sprach er grimmig die abschließenden Worte: »Es mag sein, daß unsere Sonne sinkt. Möge sie blutrot untergehen! «
    339
    Die Beratung dauerte lange. Ich verpaßte kein Wort und empfand dabei das aufwühlende Gefühl, daß der Mut dieser Männer sich auf mich übertrug; er schien mich wieder mit mir selber zu vereinigen.
    Die Hölle kannte ich bereits; die Schrecken, die mich Tag und Nacht begleiteten, prallten an meinem Herzen ab. Und meine schweigsame Liebe, meine Sehnsucht, galten einzig und allein ihr, der Toten.
    Nach der Ratssitzung, als ich wie betäubt neben den Pferden kauerte, legte sich plötzlich eine Hand auf meine Schulter. Es war Asuktsang.
    »Trink!« sagte er.
    Ich richtete mich auf, erblickte im Sternenlicht das stolze Gesicht, das Wind, Kälte und Sonne zu einer ledernen Maske gegerbt hatten.
    Ich wollte zunächst meinen Augen nicht trauen. Daß der Kommandant eigenhändig einen Becher für mich gefüllt hatte, erfüllte mich mit Bestürzung. Demütig nahm ich ihm den Becher aus den Händen und trank, ohne es zu wagen, seinem Blick zu begegnen.
    Asuktsang nickte mir zu und zeigte sein seltenes Lächeln. Ich sah das Aufblitzen der weißen Zähne.
    »Hast du gut zugehört, Junge? Wenn du einmal alt bist, werden sich die Menschen an diesen Tag erinnern. Dann wirst du sagen können: Ich war dabei! Und du wirst deinen Kindern und Kindeskindern davon erzählen.«
    Damals wußte ich es noch nicht: Was in der Einsiedelei beschlossen wurde, war die größte Herausforderung unserer tausendjähriger Geschichte. Und mehrmals konnten wir die Hand nach dem Sieg ausstrecken, die Chinesen warfen ihn uns hin, wie einen blutigen Mantel. Aber retten ließ sich Tibet nicht mehr, nicht auf diese Weise.
    340

44. Kapitel

    I n den nächsten zwölf Monaten stand uns das Glück zur Seite. Wir fielen in den Loka ein und eroberten nacheinander die chinesischen Befestigungen von Gyala Dzong und Guru Nakye am Tsampo-Fluß.
    Wir griffen die große Straße an, über die der Holzvorrat für die Volksarmee geliefert wurde. Wo das Holz ausging, vermochte sich die Armee nicht zu halten. Und kurz darauf fielen die chinesischen Garnisonen von Lobhu Dzong, die großen Festungen von Towa und Lhuntse, die jene lebenswichtigen Straßen nach Buhtan und Indien bewachten. Viele Chinesen starben. Weil ich den Kämpfern imponieren wollte, zeugte meine Haltung in dieser Zeit mehr von falschem Draufgängertum als von kluger Überlegung. Als ich meine ersten Feinde abschoß, waren sie für mich nichts anderes als Zielscheiben. Mit einem Fingerdruck zu töten ist die einfachste Sache der Welt, wenn man genügend Patronen im Gürtel hat. Ich war jung, mein Auge war scharf.
    So lebten wir unter härtesten Bedingungen ein Dasein, wie es zu jener Zeit an keinem Ort der Welt gelebt wurde. Die Welt aber erfuhr kaum etwas von uns, und in den Pressemeldungen wurde unser Kampf nur wenig oder überhaupt nicht beachtet. Wir gaben uns keinen Illusionen hin. Im Gegenteil: Die Zeit drängte. Beijing rüstete sich zum Gegenanschlag, und alles ließ daraufschließen, daß wir uns auf größte Schwierigkeiten gefaßt machen mußten. Die Unruhe in der Bevölkerung wuchs. Über 15.000 Flüchtlinge aus dem Kham hatten in Lhasa Zuflucht gesucht; die Lebensmittel wurden knapp. Nicht nur, daß die Flüchtlinge mittellos waren, sie lebten zudem in ständiger Furcht vor der chinesischen Geheimpolizei.
    Täglich wurden Khampas verhaftet. Jene, die Waffen besaßen, darunter auch viele junge Frauen, strömten nach Loka, um gegen die Chinesen zu kämpfen. Der ständige Menschenstrom kam Asuktsang gelegen. Viele Rebellenkrieger mischten sich unter die Flüchtlinge.
    Sie fielen die Soldaten im Schutz der Dunkelheit an, so daß sich die Chinesen bald nur noch in Gruppen auf die Straßen wagten.
    Manchmal gelang es ihnen, Rebellen bei Hausdurchsuchungen zu stellen. Die Khampas wußten, was sie erwartete, wenn sie den Soldaten in die Hände fielen. Sie leisteten Widerstand bis in den Tod. Manche erschossen oder erdolchten sich selbst, bevor man sie fassen konnte. Die Chinesen ließen ihre blutigen Leichen auf der 341
    Straße verwesen – als Abschreckung für die Bevölkerung. Auch versuchten sie mit allen erdenklichen Mitteln, die

Weitere Kostenlose Bücher