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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Widerstandskämpfer in Mißkredit zu bringen. Es gab Chinesen, die schon jahrelang in Tibet lebten und keine sprachlichen Probleme mehr hatten. Man verkleidete sie als Khampas und schickte sie in die Dörfer, wo sie Pferde stahlen und die Bewohner in Angst und Schrecken versetzten. Im allgemeinen wurden sie bald entdeckt.
    Inzwischen hatten wir die Heilige Stadt mit einem dichten Netz von Lagern umzogen. Als Rückzugsgebiet dienten uns die terrassenförmig ansteigenden Berge. Die Hochebene mit der Militärstraße lag in Reichweite unserer Gewehre. Pausenlos rollten die Lastwagen. Chinesen in olivgrüner Uniform kreuzten auf Fahrrädern endlose Züge schwerbepackter Yaks. Offiziere mit dem roten Stern auf Mütze und Ärmel fuhren in offenen Autos. Die Chinesen schafften Arbeiter und Material herbei, um die Straßen auszubessern. Viele Transporte führten Geschütze und Panzer mit sich. Wir ritten über alte Karawanenwege, vor und hinter den Fahrzeugen der Feinde. Die Zahl der Rebellen wuchs ständig.
    Mönche und Nonnen, aus ihren Klöstern vertrieben oder der Folter entkommen, schlossen sich uns an.
    Nyerpa Rimpoche, der Abt des Ma-Tschen-Klosters nördlich von Lhasa, gewährte Asuktsang und seinem Gefolge ein paar Nächte lang Obdach. Noch dreißig Jahre zuvor hatte das Kloster große Flächen Ackerland besessen und war geistiges Zentrum für Dörfer gewesen, die bis zu fünfzig Tagesreisen entfernt lagen. Als die Chinesen kamen, blieb die Pacht aus, die Spenden wurden selten; Pilger wagten sich kaum noch auf die einsamen Bergpfade.
    Inzwischen sah das Kloster völlig verkommen aus. Die Wandgemälde waren abgebröckelt. Alte, wertvolle Schriften vermoderten. Treppen endeten irgendwo in der Luft, und nachts raschelten Ratten im Gebälk. Das Kloster beherbergte noch an die fünfzig Mönche, die meisten alt und bei schlechter Gesundheit.
    Eines Abends, als ich naßgefroren und schlotternd die Pferde fütterte, kam ein Mönch und forderte mich auf, ihm zu folgen. Wir hatten zwei stürmische Regentage hinter uns. Durch Gänge, die nach Fäulnis rochen, führte mich der Mönch in Nyerpa Rimpoches Gemach. Zwei Mönchssoldaten bewachten die Tür. Ich schlüpfte aus meinen Filzstiefeln und trat ein. Einige Butterlampen brannten. Das Zimmer war karg eingerichtet, nur über der Altarwand aus Nußbaum hingen zwei schöne, zerschlissene Rollbilder. Der Abt saß barfuß 342
    und mit verschränkten Beinen auf alten Schlafstellen und Kissen aus verblichener Seide. Seine ausgetretenen Schuhe ohne Senkel standen an der Tür, daneben Asuktsangs Stiefel. Dieser hatte auf einem Kissen am Boden Platz genommen. Er trug Reithosen, eine Tuchjacke mit Messingknöpfen und darunter sein Hemd aus Fallschirmseide. Sein Wolfsfell war um seine Hüften gelegt. Ich grüßte mit gefalteten Händen. Nyerpa Rimpoche gab mir einen Wink, mich zu setzen. Ich ließ mich in gebührendem Abstand auf dem Boden nieder. Der Abt nickte mir freundlich zu. Er hatte ein rundes, intelligentes Gesicht, kupferfarbene Haut und schlechte Zähne. Seine Worte begleitete er fast nie mit einer Geste. Und doch war seine persönliche Ausstrahlung groß, und die Aura, die ihn umgab, voller Kraft. Er schenkte mir einen belustigten Blick.
    »Nun, Atan, bist du hungrig?«
    Ich verneinte respektvoll, obwohl mein Magen laut knurrte und beide es hören mußten. Der Abt hob die Brauen.
    »Müde vielleicht?«
    Seine Stimme klang erstaunlich jugendlich und fröhlich. Ich verneinte erneut. Der Abt schmunzelte.
    »Seltsam«, sagte er zu Asuktsang, »im Alter dieses Jungen war ich stets hungrig und müde.«
    Ich rutschte unbehaglich hin und her, obwohl ich wußte, daß er mich neckte. Nyerpa Rimpoche gab ein Zeichen. Einer der Mönche reichte mir einen Becher, füllte ihn mit heißem Buttertee, den ich dankbar schlürfte. Ich war durchgefroren, aber meine Sinne waren geschärft. Es lag eine besondere Spannung im Raum, die sich nicht mit dem Verstand erfassen ließ. Doch der Abt wartete freundlich, bis etwas Wärme in meine Glieder zog, ehe er mit nachdrücklichen Ernst zu sprechen begann.
    »Atan, diese Dinge sind eigentlich zu schwer, um einen Knaben damit zu belasten.«
    Der Abt segnete mich und sprach weiter. Obwohl sich die Situation in Lhasa täglich verschlechterte und jede Familie angsterfüllt war, hatten die Zeremonien zu Neujahr ungehindert stattfinden können.
    Doch jetzt geschahen Dinge, die Anlaß zu großer Beunruhigung gaben. Das kommunistische Hauptquartier hatte Seine

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