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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Heiligkeit eingeladen, die Vorstellung einer Tanzgruppe aus China zu besuchen. Man hatte ihn jedoch wissen lassen, daß kein tibetischer Soldat die Steinbrücke zum Hauptquartier überschreiten dürfe.
    Seiner Heiligkeit war lediglich erlaubt worden, sich mit einigen 343
    unbewaffneten Begleitern zum Theater zu begeben.
    Nyerpa Rimpoche machte eine Pause und sah mich scharf an.
    »Die Nachricht ist unbedingt zuverlässig. Wir haben sie vom Kommandeur der Leibwache Seiner Heiligkeit.«
    Stille. Seine Worte hingen zwischen uns im Schweigen des Raumes, zitterten wie eine Kompaßnadel. Denn der Kommandeur der Leibwache war niemand anders als mein Vater.
    Beide Männer ließen mich nicht aus den Augen. Ich spürte, wie alles Blut aus meinem Gesicht wich.
    Ein unerwarteter Schmerz überfiel mich; ich senkte den Kopf noch tiefer. Asuktsang sagte:
    »Dazu kommen andere Nachrichten. Vor ein paar Tagen teilte Radio Beijing mit, daß Seine Heiligkeit zum Nationalen Volkskongreß nach China reisen würde. Wer informierte den Sprecher? Seiner Heiligkeit wurde keine offizielle Einladung überbracht. Das Spiel der Chinesen war stets so krumm wie das Bein eines streunenden Hundes. Aber diesmal hinkt es. Alles deutet darauf hin, daß Seine Heiligkeit nach China gebracht und festgehalten werden soll.«
    Ich befeuchtete meine Lippen, streifte Asuktsang mit einem Blick.
    Er merkte, daß ich die Lage erfaßt hatte.
    »Die Kommunisten können es sich nicht leisten, Zeit zu verlieren.
    Seine Heiligkeit weiß, daß er als Geisel verschleppt werden soll. Und er weiß auch, daß eine Absage für die Chinesen einen großen Gesichtsverlust bedeuten würde. Die Furcht, daß sich die Kommunisten am Volk rächen könnten, bedrückt ihn zutiefst. Seine Heiligkeit ging mit sich selbst zu Rate. Er befragte das Orakel, ob er fliehen sollte, und die Anwort lautete: Ja. Die Mitglieder des Kaschag und die Volksvertreter gaben ihre Zustimmung. Seine Heiligkeit wird also Tibet verlassen. Aber das Volk darf nicht beunruhigt werden. Auch besteht die Gefahr, daß sich die Mönche der großen Klöster dem Entschluß widersetzen. Ferner könnte ein Vorstoß der Kommunisten den Fluchtweg nach Süden unterbinden.
    Deshalb wurden alle Vorbereitungen heimlich und mit aller Vorsicht getroffen. Es darf nichts durchsickern, verstehst du?«
    Er sah mich finster an. »Du weißt, Junge, daß jeder Khampa, der eine Waffe führt, für ihn sterben würde.«
    »Ja, Herr«, sagte ich dumpf.
    Asuktsang nickte.
    »Gut, Atan. Nun höre. Wir müssen jeden Tag zu unserem Vorteil 344
    nutzen. Seine Heiligkeit hat dem Besuch des Theaters am zehnten März zugestimmt. Das ist also in vier Tagen. Sobald das Volk erfährt, daß ihn die Chinesen entführen wollen, geht hier das Pulverfaß hoch. Ein solcher Verlauf würde ihn in größte Gefahr bringen. Wir müssen also Seine Heiligkeit über die Pässe nach Indien bringen, bevor der Explosionspunkt erreicht ist. Die Khelenpa werden die Nachhut bilden und die Chinesen aufhalten. Meldereiter sind zu allen Karawansereien unterwegs. Der Privatschatz Seiner Heiligkeit wurde bereits weggeschafft. Nun zu dir, Junge. Deine Aufgabe wird es sein, den Kommandeur Tilen aufzusuchen und ihm den Fluchtplan zu erläutern.«
    Ich fühlte, wie meine Gesichtszüge starr wurden. Die Zerstörung Lithangs war meinem Vater bekannt. Aber wußte er auch, wie Shelo gestorben war? Wie konnte ich ihm unter die Augen treten? Der bloße Gedanke schon machte mich krank.
    Es sei naheliegend, meinte Asuktsang, mir als dem Sohn des Befehlshabers diese Aufgabe zu übertragen. Möglicherweise auch würde der Feind, der überall Augen und Ohren hatte, einem Knaben weniger Beachtung schenken. In Lhasa sollte ich einen gewissen Osher aufsuchen. Ich würde ihn in einem der Flüchtlingslager finden. Osher hatte in jungen Jahren mit den Brüdern Pangda ruhmreich gekämpft. Er hatte ein gutes Netz geknüpft und würde mir weiterhelfen.
    Anschließend erfuhr ich Einzelheiten über den Fluchtplan, über die Wahl bestimmter Leute, über die Vorkehrungen hinsichtlich der Reise und so fort. Ich mußte alles im Kopf behalten, was mir nicht weiter schwerfiel.
    Während der ganzen Zeit hatte der Nyerpa Rimpoche seine Haltung auf dem Ruhebett nicht verändert. Nun seufzte er und rieb sich die nackten Zehen.
    »Irgendwelche Fragen, mein Sohn?«
    Mein Herz schlug heftig. Keine Fragen, nein. Nur noch diese:
    »Wann soll ich reiten?«
    »Jetzt gleich, mein Junge.« Der Abt blinzelte mir zu.

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