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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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heutzutage auf sich warten.«
    Kleinkinder krabbelten am Straßenrand; Lastwagen donnerten um Haaresbreite an ihnen vorbei, hüllten sie in stinkende Auspuffgase ein. Vor den Haustüren kauerten Frauen in bunten Saris, lachsrosa, smaragdgrün oder dottergelb, die einander lachend die Haare kämmten. Viele Männer kleideten sich modern, aber zahlreiche ältere Nepali trugen noch Beinkleider aus Baumwolle, Wickelhemden und kleine, dunkle, wie Schiffchen geformte Kappen, die etwas schief saßen. Fast alle waren kleingewachsen, schmächtig und hatten einen Schnurrbart. Einige tibetische Mönche und Nonnen eilten in ihren roten Gewändern durch die Menge. Ihr schwungvoller, zielbewußter Gang fiel auf. Die Tibeter beeilten sich; die Nepali schlenderten dahin, als sei das ganze Leben ein geruhsamer Spaziergang. Ich schmunzelte, weil der unterschiedliche Elan ihrer Schritte die Wesenszüge beider Völker so bildhaft zum Ausdruck brachte.
    Auf einer Betonbrücke überquerte das Taxi einen Flußarm. Das Wasser sickerte durch Müllablagerungen, ein geleeartiges Braun, in dem Kinder plantschten. Flußabwärts wuschen Frauen ihre Wäsche, 70
    die sie auf den flachen Steinen plattschlugen. Zwischen roten Backsteinmauern fuhren wir dem Hotel zu. Das Hotel Varja war mir in Zürich von einem tibetischen Freund empfohlen worden. Es hatte lange Treppenflure, verschnörkelte Geländer, getäfelte Türen und Erkerfenster. Im Garten gurrten Tauben, Königskrähen segelten durch die blaue Luft. Anemonen und Stiefmütterchen blühten in Töpfen, an den Wänden rankten Kletterrosen. Die Myrte wuchs dicht und wirr, die Walnußbäume und Bougainvilleabüsche warfen frische Schatten. Es duftete nach Holzkohle, Jasmin und nassem Rasen. Vor kleinen Buddhastatuen brannten Kerzen. Der Garten, ganz von Düften durchzogen, war eine Oase der Ruhe im brodelnden Hexenkessel der Stadt.
    »Hier riecht es gut«, sagte Roman aufatmend. Gleich darauf, im Zimmer, zog er wieder die Nase kraus: Es roch wenig angenehm nach Mottenkugeln. Das Fenster war mit einem feinmaschigen Gitternetz versehen, zum Schutz gegen die Moskitos. Die Decke war grün gestrichen, die Wände leuchtend weiß. Der alte Holzboden quietschte. Auf den Bettenlagen rostfarbene Razas, nepalische Steppdecken. Im Badezimmer waren die Wasserhähne verrostet und die Wanne zersprungen. Sobald ein Hotelgast die Wasserspülung zog, husteten sämtliche Rohre. Wir packten unsere Sachen aus.
    Roman gähnte ein paarmal. Auch ich war benommen.
    Zeitverschiebung.
    »Gehen wir etwas trinken«, schlug ich vor. Auf einer Terrasse aus Backsteinen standen ein paar verschnörkelte Eisentische und Stühle.
    Die Sonne schien warm, ohne zu brennen. Die Stadt, inmitten sanfter Hügel ruhend, vibrierte vor Leben. Die Stimmen, das ewige Hupkonzert, die Musik aus Lautsprechern wehten wie durch blaue Luftschichten über uns hinweg. Ich machte Roman auf ein Bauwerk auf einer Anhöhe aufmerksam, das im Gegenlicht einem gigantischen Kegel glich.
    »Swayambhunath, das Wahrzeichen von Kathmandu. Der Stupa ist über 2500 Jahre alt und eigentlich eine tibetische Kultstätte. Sie wurde mehrmals beschädigt und wieder aufgebaut, aber immer mußte ein hoher Lama aus Tibet geholt werden, der die Sterne befragte und die Arbeit segnete.«
    »Interessant. Wer hat sie erbaut?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Es gibt nur Legenden.«
    »Ja, was«, sagte er, »das ist ja gerade das Schöne.«
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    »Eine davon erzählt, daß sich einst auf dem Hügel ein klarer, tiefer See befand. Als der Bodhisattwa Manjushri an seinem Ufer betete, sah er die ewige Flamme Buddhas aus dem Stengel einer Lotosblüte wachsen und über der Seefläche leuchten. Der Heilige zog sein Schwert und schlug eine Bresche in den Hügel, worauf das Wasser abfloß und das Kathmandutal überflutete. Als die Wasser abzogen, hatten sie die Erde in fruchtbares Ackerland verwandelt. Da dankte Manjushri dem Ewigen Buddha und ließ auf dem trockenen Seeboden eine Kultstätte errichten, die er Swajambhu, dem >Selbst Existierendem, widmete.«
    »Du erzählst gut.«
    »Das habe ich von meiner Mutter.«
    Ein Kellner mit sanften, glutvollen Augen brachte stark gesüßten Milchtee in einer Silberkanne. Der Tee war für mich. Roman hatte einen Whisky bestellt.
    »Black and White, nicht übel!« meinte er, angenehm überrascht.
    Der Kellner schenkte ihm ein halbes Glas puren Whisky ein.
    Roman stutzte leicht.
    »Mit Wasser, bitte! Und Eis.«
    Der Kellner lächelte, spritzte etwas

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