Die Tibeterin
dir.«
Er lachte leise, schmiegte seine Wange an meine.
»Du hältst mich so nett zum Narren, daß ich dir glauben muß.«
Seine Lippen suchten meinen Mund. Jetzt gerade war es, als ob ich glücklich mit ihm sein könnte. Zweifellos war ich es auch, solange mein Denken nicht in tiefere Schichten drang: Dort stand dann eine Wand zwischen uns.
Kathmandu. Für die Piloten ein schwieriger Anflug. Das Flugzeug verlor an Höhe, drehte sich schräg gegen die glühende Sonne. Die Berge schossen plötzlich in den Himmel, versperrten den Horizont.
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Die Maschine rumpelte und zitterte, das Blau des Himmels wurde dunkel und gläsern. Die Berge, von Schatten erfüllt, tauchten in unermeßliche Tiefen. Weit unten lag ein Tal mit schachbrettartigen grünen und gelben Feldern. Einem blauen Seidenband gleich durchzog ein Wasserstreifen die Landschaft. Die Maschine senkte sich über Backsteinhäuser, die planlos in alle Himmelsrichtungen wucherten. Die Ziegeldächer der Heiligtümer und Pagoden schimmerten wie dunkle Drachenflügel. Immer tiefer senkte sich das Flugzeug. Bald schwebten wir parallel zu der langen Bergkette, dicht über dem smaragdgrünen, langgestreckten Hochtal. Die braunroten Gebäude des Tribhuvan-Internatio-nal Airport kamen in Sicht. Noch ein Stoß: Die Berührung mit der Landepiste war erstaunlich sanft.
Das Flugzeug rollte über den Teerboden und blieb stehen. Wir waren in Kathmandu, vierzehnhundert Meter über dem Meeresspiel.
Im Gewühl der Fluggäste standen wir auf, griffen nach unserem Kabinengepäck. Roman wischte sich den Schweiß aus dem Gesicht.
Wir waren in euphorischer Stimmung. Das muß die Höhenluft sein, dachte ich, und lachte, weil Auspuffgase und alle möglichen Absonderungen Kathmandus Höhenluft seit Jahrzehnten in stinkenden Smog verwandelt hatten. In größter Unordnung, müde von der Reise, drängten sich die Fluggäste in die Ankunftshalle und warteten auf ihr Gepäck, während die Beamten, in zugeknöpften schwarzen Jacken, mit schwarzer Kappe auf dem Kopf, in aller Ruhe die Pässe stempelten. Es dauerte eine ganze Weile, bis das Gepäck kam, wir waren in Asien, und Effizienz lag nicht in der hiesigen Mentalität. Endlich kamen unsere Taschen, die von den Zöllnern lange und gründlich untersucht wurden. Dann hatten wir die Prozedur hinter uns. Vor dem Flughafengebäude wartete eine Schar zumeist halbwüchsiger Gepäckträger, die uns heftig gestikulierend zu einer Reihe vorsintflutlicher Taxis brachten. Bevor wir einstiegen, kamen mir Amlas Ratschläge in den Sinn, und ich handelte mit dem Chauffeur den Fahrpreis aus. An Kathmandu hatte ich nur verschwommene Erinnerungen; jedenfalls entsann ich mich des lebensgefährlichen Durcheinanders von Autos, Fahrrädern, Lastwagen, japanischen Motorrädern und großen, dreirädrigen Rickschahs, die sich in scheinbar labilem Gleichgewicht einen Weg durch das Gewühl bahnten. Große Teile Kathmandus waren noch ohne Kanalisation, Kloaken die Straßengräben. Für die Säuberung der Stadt sorgten Ratten und kleine, schwarzborstige Schweine.
Kühe wanderten gelassen umher, Hunde schliefen, wo es ihnen 69
gerade paßte. In das Labyrinth der Gassen, Sträßchen, Höfe, Läden, Buden und Stände fiel schräg die Sonne. Wir fuhren zwischen Körben mit Gewürzen, Getreide, Früchten und Gemüse. Gewaltige Fleischstücke, übersät von Fliegen, waren in der prallen Morgensonne ausgebreitet. Die Metzger trennten mit ihren Messern gelbes, glänzendes Fett vom Fleisch. Ziegenköpfe mit geschlossenen Augen lagen auf Gestellen, der Lehmboden war schwarz von Blut.
Licht und Schattenspiele warfen geheimnisvolle Schimmer auf Kleider und Gesichter, auf Strohmatten, Töpfe und Tongeschirr.
Kinder in marineblauer Uniform gingen zur Schule. Die Saris der Frauen leuchteten wie Bühnengewänder, die großen Kupferkessel funkelten wie dunkles Gold. Unter dem Netzwerk der Stromversorgung wehten buddhistische Gebetsfahnen; nicht verputzte und bereits abgewohnte Betonklötze verschimmelten zwischen großen und kleinen Pagoden, Tempeln und Schreinen.
Verwitterte Balken stützten Götterfiguren, Spitzbogenfenster und Balkone waren von zerbröckelndem Schnitzwerk umrahmt, das wie eine klumpige schwarze Masse, von Vogeldreck beschmiert, an den Hauswänden klebte. Roman schüttelte den Kopf. Fassungslos.
»Warum läßt man solche Kunstwerke verkommen?«
»Kein Geld«, sagte ich. »Die Regierung setzt auf die Dollars der Entwicklungshilfe, aber die lassen
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