Die Tibeterin
also ein Khampa. Das ist wahrhaftig etwas, dachte ich. Die Khampas der östlichen Region, der uneinnehmbaren Festungen… verwegene Krieger, tollkühne Reiter, Räuber und Plünderer aus Leidenschaft. In ihren geheimen 146
Werkstätten fertigten sie Dolche und Säbel an, auch Gewehre. »Das Volk der Könige« nannten sie sich. In ganz Tibet gab es keinen Mensch, der diesen Namen nicht kannte und nicht Unbehagen verspürte, wenn er genannt wurde. Und doch widerlegte manches ihren gefährlichen Ruf. Stellten sie nicht seit Menschengedenken die Leibwachen der Dalai Lamas? Sie waren jeder Gefahr gewachsen, die Tapferen schlechthin. Schon möglich, daß manche sich in Klosterburgen seltsam benahmen. Aber in den Steppen konnten nur jene überleben, die rasch lernten.
Oft war ihr Benehmen vornehmer als das in den Häusern Lhasas aufgewachsener Aristokraten. Nicht selten erreichten sie als Regierungsbeamte die höchsten Ränge. Und als 1959 in Tibet der Aufstand losbrach, waren es die Khampas, die den blutjungen Dalai Lama und seine Angehörigen durch alle Gefahren hindurch ins indische Exil geleitet hatten. Nein, die Khampas kannten nicht die Kälte der Furcht, die die Menschen schneller erfrieren ließ als der Eishauch der Schneestürme; sie hatten Krieg gegen China geführt, jahrelang. Doch manchmal fällt ein Volk in die Falle der Geschichte.
Das Schicksal, in seiner ganzen Unbestimmtheit, war gegen die Khampas. Die siegreichen Zeiten waren vorbei. Aber der erlangte Ruhm hatte die bleibende Legende geschaffen. Ich sagte zu Atan:
»Laufen Sie noch nicht fort. Ich will zuerst wissen, was Sie in Taiwan und in Amerika gemacht haben.«
Er schüttelte den Kopf, wobei er leise lachte. Er trug einen Wolfspelz, und er war ein Wolf. Ich fühlte mich wie ein Kind, das ein fremdes Tier in sein Haus läßt, ihm Wasser und Nahrung vorsetzt und wartet, ob es sich streicheln läßt. Welche Sache beschäftigt dich eigentlich, Tara? Setz mal dein verflixtes Gehirn in Bewegung!
Alan trank noch einen Schluck.
»In den sechziger Jahren hatte die CIA in Amerika die
>Vereinigung für ein freies Asien< gegründet. Es war die Zeit des Kalten Krieges. China verbreitete Angst. Gleichzeitig wurde bekannt, daß im tibetischen Hochland unzivilisierte Wilde ihr Unwesen trieben. Sie ermordeten die Helden der Befreiungsarmee, wenn sie kamen, um die Hungrigen zu speisen und den Unterdrückten Gerechtigkeit zu bringen. Das bewirkte, daß Tschiang-Kai-Schek und seine amerikanischen Verbündeten ein wohlwollendes Auge auf uns warfen. Man machte uns ein Angebot.
Wir Khampas waren in dieser Zeit noch geneigt, uns selbst in einem Spiegel zu bewundern; daß uns der Kuomintang gegen Rotchina 147
unterstützen sollte, löste in den Jurten Gelächter aus. Aber wir sahen die Ursachen nüchtern. Wir hatten gute Waffen. Die Chinesen hatten zwar bessere, aber die konnten wir nicht bekommen. Ich war achtzehn Jahre alt, mit schrecklichen Erinnerungen beladen. Daß ich in meiner Ruhelosigkeit zu heftigen oder überstürzen Handlungen neigte, war mir nicht dunkel, sondern hell bewußt. Jedenfalls fuhren wir nachts in Lastwagen über die indische Grenze. In Assam setzte man uns in einen Zug nach Siliguri; von da aus ging es nach Kalimpong, wo man uns in Zivilkleider steckte und dringend ersuchte, unsere Amulette abzunehmen und unser Haar zu schneiden.
Also opferte ich meine Zöpfe nicht dem Heiligen Buddha, sondern der Zweckmäßigkeit. Abermals brachte man uns zur Eisenbahnstation; ein ziemlich trauriger Haufen, der mitsamt seiner Haarpracht jede Herrlichkeit eingebüßt hatte. So kamen wir in Kalkutta an; um zwei Uhr nachts startete eine Maschine vom Dumdum-Flughafen nach Bangkok. Die zweite Zwischenlandung war Hongkong. Gleich nach unserer Ankunft in Taiwan kamen wir in ein Militärlager. Hier erhielten wir eine Grundausbildung im Umgang mit Bazookas, Handgranaten, Funkgeräten und Sprengstoff.
In einer Schule wurde uns chinesisch und englisch beigebracht. Da ich bereits lesen und schreiben konnte, zog ich Nutzen aus dem Unterricht. Instruktoren zeigten uns vertrauliches Kartenmaterial.
Luft- und Radaraufnahmen. Die >Fliegenden Tiger< der amerikanischen Luftwaffe hatten den sogenannten >Buckel< im Zweiten Weltkrieg überflogen und kartographisch festgehalten.
Dieser >Buckel< war der Himalaja des Mittleren Khams. Wir sahen solche Aufnahmen zum ersten Mal; aber der Lauf der Flüsse, die Konfiguration der Berge waren uns vertraut. Faszinierend, wirklich.
Ein
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