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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Teil von uns wurde als Fallschirmtruppe ausgebildet, wobei festgestellt wurde, daß wir völlig schwindelfrei waren. Man gab uns ein Armband mit einer Zyanidkapsel und den Befehl, sie zu schlucken, falls wir dem Feind in die Hände fielen. Für Befehle habe ich nichts übrig, aber die Kapsel behielt ich. Nach einer Reihe von Tests gehörte ich zu den Auserwählten, die eine zusätzliche Ausbildung in den USA erhalten sollten. In Camp Haie, in Colorado, wurden wir von amerikanischen Instruktoren in die Zange genommen. Sie verschwendeten eine Menge Zeit mit Herumbrüllen, Drill und ähnlichem Unsinn. Ein Khampa ist kein Spielzeug, das man schüttelt und aufzieht. Es wurde eine harte Zeit – für die Instruktoren, meine ich. Inzwischen hatte ich alles versucht und 148
    ausprobiert. Hatte alles getrunken und geraucht, was ein bißchen high machte, hatte Verkehrsregeln mißachtet, einige Zwangsvorstellungen aus bleichen Betonköpfen herausgeprügelt und mit blonden Frauen geschlafen. Ich war ein paarmal vors Kriegsgericht gekommen und ein Kenner von Gefängniszellen geworden. Alles in allem war es keine verlorene Zeit, und in diesen zwei Jahren lernte ich mehr, als ich in zwanzig Jahren in unseren Jurtenlagern gelernt hatte.«
    Er hatte noch immer diese sanfte Aussprache, die so wenig zu seinen ungerührten Worten paßte und seine Stimme so klar und fesselnd machte.
    »Dreißig Jahre sind inzwischen vergangen. Die USA, die uns eine Zeitlang mit Waffen belieferte, ließ uns wie eine heiße Kartoffel fallen, als Nixon und Mao sich 1972 die Hände schüttelten. China wurde plötzlich salonfähig. Als Tribut stopfte man Tibet dem Drachen ins Maul. Die Politik schlägt wie ein Pendel in die eine oder andere Richtung. Kein Wunder, daß sich Manipulierte und Erregte überfordert fühlen. Wie sollen sie das Richtige vom Falschen unterscheiden, wenn es dauernd wechselt? Was man aufbringen muß, ist das nötige Maß an Geduld. China macht Amerika nervös; China hat eine große Fläche auf der Karte. Amerika fürchtet den Verlust amerikanischer Arbeitsplätze durch chinesische Billigimporte. Verschwindet ein Volk, kann die Welt perfekt weiterleben. Und Jahrhunderte später über zerbrochene Steine und verbrannte Knochen Rätsel raten. Wir haben keine andere Wahl, als wieder und wieder Phönix zu spielen, das sagt Ihnen jeder Lama, und das in besseren Worten, als ich es kann.«
    Es folgte ein langes Schweigen. Er blickte mich an, das Glas in der Hand. Ein paar Atemzüge lang wurde mir richtig schwindlig. Ich spürte eine nagende Unruhe, mehr noch: das Gefühl, das etwas begonnen hatte. Alles, was ich empfand, wurde von dieser Vorstellung unmittelbarer Erwartung geprägt.
    Auf einmal kam Bewegung in ihn. Er trank sein Glas leer und stellte es auf den Tisch.
    »Setzen Sie mich jetzt vor die Tür?«
    »Sie scheinen es wirklich sehr eilig zu haben.«
    Ich war leicht benommen, krampfhaft bemüht, die richtige Verbindung herzustellen zwischen diesem neuen Gefühl und einem alten, das sich von mir zurückzog, je mehr ich versuchte, mich daran zu erinnern.
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    »Sie sollten sich Sorgen machen«, meinte er. »Wir haben einen schlechten Ruf.«
    »Sie tun alles, um mich davon zu überzeugen.«
    Wieder flog das kaum merkbare Lächeln über sein Gesicht.
    »Vieles, was man über uns sagt, ist natürlich gelogen. Wir streiten es nicht ab, weil wir ausgesprochen eitel sind, bloß deswegen.«
    »Den Eindruck gewinne ich auch.«
    »In gewissem Sinne stimmt es ja. Wir geben es den Chinesen auf ganz schön brutale Art.«
    »Oh je. Heute noch?«
    »Wir hoffen, daß sie weniger werden, so nach und nach.«
    Ich starrte in die großen, funkelnden Auen; sie reflektierten, was das Licht ihnen zuwarf, mehr nicht. Er gab mir keinen Einblick, blieb unsichtbar dahinter. Doch mit einem Mal begriff ich, daß er eine Verletztheit verbarg, von der ich nichts ahnen konnte.
    »Damit müssen Sie nicht unbedingt prahlen«, sagte ich sanft.
    Sein Ausdruck wurde düster.
    »Sie haben recht. Es hat den Anschein, als werden immer mehr eingeflogen.«
    Ein weiteres Schweigen folgte. Seine Augen glitten über mein Haar, von der Stirn über mein Gesicht, den Hals hinab zu den Schulten. Ich schauderte leicht unter diesem Blick und spürte, wie meine Brüste an den Spitzen empfindlich wurden. Ich hatte es schon lange nicht mehr erlebt. Soll das alles sein, Frau Doktor? Nein, da war mehr. Ich vermutete es wenigstens. Ich versuchte mit aller Kraft und vergeblich, eine

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