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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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Schuld.«
    Atans Augen waren wie dunkle Spiegel, die mein Bild zurückwarfen. Er sagte:
    »Ja, das ist wahr. Wer verzagt ist, kann neue Kräfte in sich freimachen. Mut ist das nicht mehr zu nennen. Das ist ein Instinkt.«
    Karmas betrachtete ihn forschend und lächelte. Es war das erste 197
    Lächeln, daß sie ihm schenkte.
    »Sie hätten Arzt werden sollen.«
    Seine Lippen zuckten spöttisch.
    »Nicht alle von uns sind Wilde, wissen Sie. Aber wir müssen praktisch denken. In den Staaten habe ich meine Lektion recht gut gelernt.«
    Sie zog leicht die Brauen zusammen.
    »Und das Prinzip der Gewaltlosigkeit? Denken Sie nie darüber nach? Seine Heiligkeit erinnert uns daran, daß man ein totalitäres System nicht mit Waffen aus der Welt schafft. Warum folgen Sie nicht diesem Weg?«
    Atans Zähne blitzten, aber es war kein Lächeln in seinem Gesicht.
    »Weil der Weg steil und lang ist. Seine Heiligkeit ist ein Mönch –
    ich bin ein Nomade. Ein Mönch mag die Freiheit in einer Zelle erleben. Für mich weht sie über den Schneegipfeln. Es ist leichter, einer gereizten Grizzly-Bärin ihr Junges wegzunehmen, als einen Han-Chinesen von seinem Standpunkt abzubringen, daß Tibet eine chinesische Provinz ist. Ich vertraue weniger dem Segen Buddhas als meiner Trefferquote. Bisher sind viele Mönche umgebracht worden.
    Aber nur wenige Nomaden.«
    Karma saß mit geradem Rücken und leicht gespreizten Knien, die Hände ineinander verschränkt; es war eine Angewohnheit von ihr.
    Ihre Art Haltung zeugte von Entspannung.
    »Das müssen Sie vor Ihrem Gewissen verantworten.«
    Er strich seine dichten Flechten aus der Stirn, lachte leise.
    »Sie dürfen es nicht allzu wörtlich nehmen. Wir töten nicht alle, die uns über den Weg laufen. Das wäre Munitionsvergeudung. Wir beschlagnahmen ihre Fahrzeuge und lassen sie in der Steppe zurück.
    Außer in der Umgebung einiger Wasserlöcher wächst dort nichts, was selbst dem Vieh schmecken würde. Bloß wissen die Chinesen nicht, wo diese Wasserlöcher zu finden sind. Das mag, in manchen Fällen, ihr Pech sein.«
    Später sagte Karma zu mir:
    »An der Art, wie eine Frau einen Mann ansieht, spürt man ihre Gefühle. Du mußt aufpassen, Tara, du verschlingst ihn mit den Augen. Nimm dich in acht, dieser Mann ist nichts für dich. Er führt einen Privatkrieg gegen die Volksrepublik China.«
    Ich seufzte.
    »Er hat gute Gründe dafür.«
    Ich brauchte ihr keine Erklärungen zu geben. Karma war mit 198
    solchen Geschichten vertrauter als ich. Auch über Wesentlicheres sprachen wir nur wenig. Tibeter behandeln ihre Liebschaften mit größter Zurückhaltung. Wir reden lieber über physische Vorgänge als über Gefühle, und zweifellos waren meine sehr heftig. Ich sagte, mit einem kleinen Auflachen:
    »Es tut mir leid, Karma. Ich muß lange auf einen Mann gewartet haben.«
    Und wie stets kannte mich Karma besser als ich selbst. Sie wußte, daß ich unglücklich und verwirrt war, und auch, daß meine Empfindungen für Atan mich scheinbar von ihr entfernten.
    »Du wirst nie mit ihm leben können, Tara. Würde dich das sehr treffen?«
    Ich kannte den Schmerz; ich hatte bereits eine Ahnung davon. Aber Angst konnte meine Gefühle nicht verhindern. Auch wenn mir die Vernunft unerbittlich enthüllte, was ich vor mir selbst zu verbergen suchte. Einstweilen gab es nur einen Ausweg für mich: die Befürchtungen einfach zu verdrängen. Viele Leute in verschiedenen Lebenskrisen hatten sich auf diese Weise beruhigt. Ich sagte:
    »In letzter Zeit mußte ich ständig an Vater denken. Er hat diese Dinge vorausgesehen. Zwischen Atan und mir besteht eine Verbindung, wenn ich auch nicht genau weiß, welche. Ich muß meinen Weg gehen, Karma.«
    Atan war fort. Er hatte nicht gesagt, wo er die Nacht verbringen würde. Morgen, bei Sonnenaufgang, würden wir das Camp verlassen. Ich packte meine Tasche: Medikamente, Toilettenartikel, die Gletscherbrille, Wäsche, Pullover, dicke Strumpfhosen, Jeans zum Wechseln, Handschuhe, Mütze, ein zweites Paar Bergschuhe.
    Schrecklich, dieses ganze Zeug! Aber unentbehrlich. Und alles zusammengepfercht auf engstem Raum, weil ich später würde reiten müssen. Inzwischen machte sich Karma am Kochherd zu schaffen, wusch Reis, schnitt Gemüse. Sie drehte mir den Rücken zu und brach erst nach langen Minuten das Schweigen.
    »Du wirst seinetwegen leiden, Tara.«
    Ich kniete am Boden, rollte zwei T-Shirts zusammen. Ein Frösteln überlief mich.
    »Es ist schon soweit«, sagte ich

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