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Die Tibeterin

Die Tibeterin

Titel: Die Tibeterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Federica de Cesco
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daß ihre Familie sie verachtet. Außerdem kann sich ihr Zustand mit Antibiotika bessern. Und wenn nicht, gebe ich ihr das Nötige. Wenn sie es für richtig hält, kann sie es nehmen. Sie soll keine Schmerzen mehr aushalten. Nach allem, was sie mitgemacht hat, ist diese Vorstellung für mich absolut unerträglich. Aber das kann ich von hier aus nicht beurteilen: Ich muß sie sehen. Und noch etwas, Atan: ihre Tochter… «
    Er sagte kehlig:
    »Ich habe Chodonla ein Versprechen gegeben.«
    »Ja, das hast du mir gesagt. Chodonla vertraut dir. Sie soll wissen, daß sie sich auch auf mich verlassen kann. Für den Fall daß… daß ihr etwas zustößt, werde ich Kunsang zu mir nehmen und wie mein eigenes Kind aufziehen. Das bin ich Chodonla schuldig. Ich will ihr in diesem Punkt Gewißheit verschaffen. Verstehst du jetzt, warum ich sie sehen muß? Kannst du mich mitnehmen, Atan? Auf Schleichpfaden über die Grenze bringen?«
    »Ich gehe immer auf Schleichpfaden.«
    »Und bisher hat dich keiner erwischt.«
    Seine Lippen kräuselten sich spöttisch.
    »Wenn die Chinesen verrückt genug sind zu glauben, sie könnten mich fassen, dann bin ich gerade verrückt genug, um zu beobachten, wie sie es versuchen.«
    Ich lachte, aber nur mit halbem Herzen.
    »Dann lohnt es sich ja, mit dir zu gehen.«
    »Die Reise ist beschwerlich. Du bist in Europa aufgewachsen.«
    »Ein bißchen verweichlicht, meinst du?«
    »Ein bißchen verweichlicht, ja.«
    »Du wirst dich wundern.«
    »Möglicherweise schon.«
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    Ich erhaschte ein kleines, nach innen gekehrtes Lächeln auf seinem Gesicht.
    Ich legte meine Hand auf die seine. »Ich habe dich etwas gefragt, Atan! «
    Er streichelte meine Brüste, und sogar in der Verwirrung fiel mir auf, wie zart seine Finger meine Haut berührten.
    »Ich habe mir die Sache überlegt.«
    »Und wie lautet deine Antwort, Atan?«
    »Eine Frau tut, was sie will.«
    Ich legte mein Gesicht auf seine Brust; sein Herz pochte unter meiner Wange. Ich küßte die Stelle, an der ich es hörte. Wie lange noch, ehe es stillstand, weil dieser Mann starb? Eine Kugel genügte.
    Mein Atem stockte, ein Krampf schnürte mir die Kehle ein; ich empfand den heftigen Drang, in Tränen auszubrechen. Irgendetwas Ungewöhnliches hatte mich gepackt. Idiotisch. Was die Flüchtlinge erzählten, konnte ich dann und wann vergessen, mir im stillen und versuchsweise sagen, das kommt allenthalben auf dieser Welt vor.
    Wurden Gebete für den Frieden auf Erden jemals erhört? Besser, man legte sich frühzeitig eine dicke Haut an. Gewiß, an dem einen oder anderen Tag wurde ich stärker davon ergriffen, da spürte ich den Todesgeschmack, da waren Schrecken überall. Blut und Schreie.
    Ich konnte nicht sagen, warum mir seine Schmerzen so nahegingen.
    Ich mußte eine Grenze ziehen, hob den Kopf und sagte in vernünftigem Ton:
    »Im Gebirge, da fühlt man sich doch sicherer zu zweit? In manchen Fällen, meine ich.«
    So ruhig ich schien, meine Lippen zitterten doch. Er sah mich sehr aufmerksam an. Dann flog ein Lächeln bis zu seinen Augen. Er zog das Wolfsfell über uns, schloß fest beide Arme um mich.
    »Das sogar in jedem Fall«, sagte er.
    192

22. Kapitel

    I ch holte Karma am Flughafen ab. Der Wind blies heftig; Wolken türmten sich am Himmel, verbargen die höheren Schneegipfel. Ich sah die Maschine taumeln, in einer großen Kurve niederschweben, zur Landung ansetzen. Die Räder berührten die Landepiste, das Flugzeug drosselte die Geschwindigkeit, drehte sich schwerfällig und hielt vor dem kleinen Gebäude des Flughafens. Schon schoben Beamte eine Treppenleiter zu der sich öffnenden Tür. Ein paar Minuten später stiegen die Fluggäste, europäische Touristen zumeist, leicht wankend die Treppe herunter. Männer und Frauen, beladen mit Rucksäcken und Videokameras, grün und schweißgebadet vor Übelkeit, dann zwei Nepalesen in dunklen Anzügen, einige hübsche Frauen im Sari, von Kindern umringt und mit Säuglingen in den Armen. Schließlich erschien Karma, in Kordhosen und Windjacke; ihre Zöpfe baumelten bis zu den Hüften hinab. Sie schleppte zwei große Taschen, von denen ich ihr eine abnahm, sobald sie durch die Tür kam.
    »Warte, ich habe noch zwei Koffer.« Sie lachte etwas atemlos.
    »Hoffentlich bist du mit dem Taxi hier. Von Kathmandu komme ich immer wie ein Packesel zurück. Ich habe für jeden etwas mitgebracht.«
    Ich lachte auch; sie betrachtete mich und kniff leicht die Augen zusammen. Ich wandte den Blick ab. Wir warteten

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