Die Tiefe einer Seele
was Du da versuchst. Kann es sein, dass Du herausfinden möchtest, ob ich bemerkt habe, dass Du trotz warmer Füße mein Bett nicht verlassen hast? Und zwar die ganze Nacht nicht? Nun gut, ich habe im Gegensatz zu Dir unsere lärmenden Mitbewohnerinnen sehr wohl gehört und ja, ich habe mitbekommen, dass Du es vorgezogen hast, in meinen Armen zu schlafen. Was ja auch verständlich ist!«
Beinahe hätte er laut aufgelacht, als er feststellte, dass ihre verlegene Röte nun in eine zornige umschlug. Gott, war das lustig.
»James Prescott, Du bist echt ein aufgeblasener Gockel«, blaffte sie ihn Bruchteile von Sekunden später an. »Ich hoffe ja nur, dass Du die Situation nicht ausgenutzt und mich wohlmöglich begrabscht hast. Dann setzt es nämlich etwas.«
Jetzt konnte James wirklich nicht mehr. Er prustete los und lachte aus vollem Halse, dass einige der Mitfahrer sich verblüfft, andere völlig genervt zu ihm umdrehten.
»Wow, Amy! Du bist mir eine!« Nur mühsam beruhigte er sich und drosselte seine Stimme. »Auch wenn es mir nicht gerade Angst einflößt, dass ein Winzling mir Prügel androht, so versichere ich Dir trotzdem, dass ich Dich nicht so angefasst habe. Unsittlich, meine ich. Dazu hänge ich viel zu sehr an meinen Eiern, um in Deinem Duktus zu bleiben. Die wolltest Du mir nämlich abschneiden, jedenfalls hast Du das angedroht, erinnerst Du Dich? Amelie, Amelie! Wir müssen dringend etwas gegen Deine Gewaltphantasien unternehmen. Und noch mal zu heute Nacht: Du hast Dich im Schlaf an mich geschmiegt, und ich habe Dich in meinen Armen gehalten. Es war wunderschön. Ende der Geschichte!«
Amelies Zornes- wurde wieder von der Verlegenheitsröte ersetzt. Peinlich berührt starrte sie aus dem Fenster, was wenig Sinn machte, war da doch nichts als die dunklen Wände des U-Bahn-Tunnels.
James hingegen dachte nicht daran, ihr Gespräch an dieser Stelle zu beenden. »Also ich hoffe jedenfalls, dass das Wetter heute nicht allzu gut wird«, bemerkte er feixend.
»Hä?«, entgegnete Amelie irritiert und schaute ihn nun doch wieder an. »Warum das denn? Wir haben so viele Dinge unter freiem Himmel zu besichtigen, da wäre es schön, wenn es trocken bleiben würde.«
»Ja, schon möglich!«, meinte James zwinkernd. »Trotzdem würde ich mich echt freuen, wenn Dir heute Abend wieder saukalt wäre, und Du Deine Gefrierfüßchen noch einmal unter meine warmen Waden quetschst. Es würde mir eine Ehre sein.«
Amelie verdrehte die Augen im Kopf. »Jetzt hör schon auf, Prescott!«, forderte sie schnippisch und heftete erneut ihren Blick an die Tunnelwände.
Es war kurz vor zehn Uhr, als sie den Bendlerblock in der Nähe des Tiergartens erreichten. Amelie schien recht gehabt zu haben mit ihrer Kleiderwahl für den heutigen Tag, denn die Sonne zeigte sich schon jetzt, wie auch am Vortag, sehr offenherzig. Seite an Seite schritten sie auf den historischen Gebäudekomplex zu, der für die Deutschen von so großer Bedeutung war. Er war ein Symbol dafür, dass selbst in der schwärzesten Zeit ihrer Geschichte, als jede Menschlichkeit, jeder Sinn für Gerechtigkeit verloren schien, es doch ein Gewissen gegeben hatte. Hier, im Machtzentrum des Militärs, der Wehrmacht, hatten Oberst Claus Graf Schenk von Stauffenberg und seine Mitverschwörer mit der Operation »Walküre« den Sturz des Regimes, das Attentat auf Hitler geplant. Nach dessen Scheitern war er, gemeinsam mit drei anderen Offizieren, im Hof des Bendlerblockes erschossen worden. James war der Name Stauffenberg nicht erst ein Begriff, seitdem Tom Cruise ihn in einem Hollywood-Spektakel sondergleichen verkörpert hatte. Nein, auch vorher hatte er sich sehr für diesen besonderen Mann interessiert. Und er freute sich darauf, noch mehr über ihn zu erfahren.
Die nächsten zwei Stunden verbrachten er und Amelie im zweiten Stock des Gebäudes, wo eine umfangreiche Ausstellung sie über den deutschen Widerstand informierte. Sie ließen sich Zeit beim Betrachten der Bilder und Lesen der Beschreibungen. Des Öfteren wies ihn Amelie auf Details hin, die ihm sonst vielleicht entgangen wären, und nicht zum ersten Mal war er über ihre Unterstützung froh. Dank ihrer Hilfe würde er einen ganz besonderen Reiseführer auf den Weg bringen können. Davon war er überzeugt.
Nachdem sie die Ausstellungsräume hinter sich gelassen hatten, gingen sie noch in den Ehrenhof. Dahin, wo Stauffenberg sein Leben lassen musste. Feige niedergeschossen worden war. Bewegt stand James
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