Die Tiefe einer Seele
nicht richtig.«
William B. Prescott IV. griff nach der Flasche auf dem Nachtschränkchen und goss sich etwas Wasser ein. »Mal abgesehen davon, dass ich der alleinige Eigentümer von PP bin, und ich infolgedessen auch die uneingeschränkte Verfügungsgewalt über das Unternehmen besitze, weiß ich im Moment wirklich nicht, was Dein Problem ist, mein Sohn. In den letzten Wochen hatte ich eher den Eindruck, dass es Dich einen Dreck schert, was mit der Firma passiert.«
James schnellte herum. »Du weißt ganz genau, dass das nicht stimmt«, regte er sich lautstark auf. »Ich wollte aus gutem Grund die Leitung des Konzerns nicht übernehmen, ich habe aber nie gesagt, dass Du PP verkaufen sollst. Verdammt Dad, seit Monaten betest Du mir etwas von der Tradition vor, davon, dass wir sie um jeden Preis fortführen müssen. Und nun? Jetzt ist Dir das alles schnuppe? Hast Du überhaupt einen Moment lang an unsere Mitarbeiter und deren Familien gedacht?«
»Herrgott, Junge, dramatisiere das Ganze doch nicht. Tust ja gerade so, als wenn ich diese Menschen auf die Straße setzen würde. Noch mal: Ich will den Laden nicht schließen, sondern ihn nur verkaufen. Für unsere Angestellten wird schon gesorgt sein.«
»Sag‘ mal bist Du wirklich so naiv? Wir leben im Jahr 2013. Das Erste, das passieren wird, wenn jemand anders das Ruder übernimmt, ist, dass er eine Unternehmensberatung hinzuziehen wird. Und was wird dabei herauskommen? Personalkürzungen. Was anderes fällt denen nämlich nie ein. All die Jahre waren die Frauen und Männer, die für uns arbeiten, nicht einfach nur Angestellte, sondern Mitglieder der Familie. 5000 Menschen, die genau wie uns so viel mehr mit Prescott Publishing verbindet, als nur die Sicherheit, das tägliche Brot zu verdienen. Im Grunde genommen sind sie die eigentliche Tradition, die Dir bislang so wichtig war, und die Du jetzt mal eben so in den Wind schlägst. Was ist bloß los mit Dir Dad? Ich erkenne Dich gar nicht wieder.«
Sein Vater nahm ein Schluck Wasser und stellte das Glas zurück auf das Nachtschränkchen. »Ich könnte den Ball ohne weiteres zurückspielen, James!«, meinte er mit rauchiger Stimme. »Es stimmt, bislang habe ich die Geschichte der Firma und die Verpflichtung, die wir in Hinblick auf unsere Vorfahren und dem Begründer des Konzerns haben, beschworen. Du hingegen hieltest das für nicht so wichtig, hast es vorgezogen, Dich in Deinem Selbstmitleid zu suhlen und dich der Verantwortung zu entziehen. Und wage jetzt ja nicht, mir zu sagen, dass es nicht so ist. Nach außen hin tust Du seit dem Tod Deines Sohnes so, als wenn alles in Ordnung wäre, Du Dir aufgrund dieses Schicksalsschlages nur einen anderen Lebensplan entworfen hast, dabei läufst Du einfach nur weg. Nichts anderes ist es! Das weiß ich, das weiß Deine Mutter, Deine Geschwister sowieso und hoffentlich wirst Du es auch irgendwann begreifen. Doch darauf kann und will ich nicht mehr warten. Diese erneute Attacke hat nun nämlich mir einen neuen Weg aufgewiesen, und den werde ich beschreiten, ganz sicher!«
James hatte jedes Wort seines Vaters aufmerksam verfolgt, war sich immer wieder nervös durch die Haare gefahren, hatte mehrfach einen Widerspruch auf der Zunge gehabt, war aber stumm geblieben. Auch jetzt fehlte ihm irgendwie die Kraft, etwas zu erwidern.
»Was ist? Hat es Dir die Sprache verschlagen?«, durchbrach der alte Prescott die Stille.
»Und wenn Du PP nicht verkaufst, sondern einen oder mehrere Geschäftsführer einstellen würdest?«, zwang sich James zu antworten.
»Damit die Verantwortung am Ende immer noch bei mir liegt? Nein danke, das ist für mich keine Option. Glaub mir, ich habe wirklich jedes mögliche Szenario durchgespielt und bin schlussendlich immer zu dem gleichen Ergebnis gekommen. Der Verkauf des Konzerns ist die beste Lösung für uns alle. Danach werde ich endlich mehr Zeit für Deine Mutter haben, obwohl ich mir gar nicht mal sicher bin, ob sie sich darüber freuen wird.« Der alte Herr lachte aus vollem Halse.
James fühlte sich gar nicht gut. Nur konnte er noch nicht so ganz definieren, warum das so war. Eigentlich müsste er froh sein, dass er nun raus war aus dieser Nummer. Dann würde er frei und ohne schlechtes Gewissen seinem Traumjob nachgehen können. Vielleicht könnte er in Zukunft auch häufiger mit Amelie zusammenarbeiten.
Was reimst Du Dir da denn gerade wieder zusammen, James Prescott? Das gehört nun wirklich nicht hierher. Mmm, ich könnte sie später
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