Die Tiefe einer Seele
Medikamente machen mich stumpf, nehmen mir jegliches Gefühl. Das will ich einfach nicht dauerhaft, versteh das doch bitte. Nur im Notfall«
»Dann nimm doch wenigstens die Therapie wieder auf.«
»War ja klar, dass Du da auch noch von anfängst. Mensch Mama! All die Jahre habe ich eine Therapie nach der anderen gemacht und habe am Ende immer wieder in der gleichen Sackgasse festgesteckt. Es hilft mir einfach nicht. Ich muss jetzt einfach mal etwas anderes versuchen.«
»Und was, wenn die nächste dunkle Phase kommt? Amelie, was dann?«
»Ob Du es glaubst oder nicht, ich hoffe, dass ich die Zeichen dann besser erkennen werde und verhindern kann, dass es wieder eskaliert. Und wenn nicht, dann darf ich mich eben nicht noch ein weiteres Mal so doof anstellen. Dann muss es eben klappen, damit der ganze Spuk endlich ein Ende hat.«
»Amelie!«, fuhr ihre Mutter sie entsetzt an.
Ihre Tochter grinste. »Sorry Mama, aber ein bisschen Galgenhumor musst Du mir schon zugestehen. Hihi, Galgenhumor, das passt doch, findest Du nicht?«
Magda schüttelte den Kopf. »Du bist unmöglich, Amelie Johannson!«
»Da hast Du wohl recht! Und jetzt lass uns endlich Tee trinken!«
Die nächsten dreißig Minuten verbrachten die beiden Frauen in trauter Zweisamkeit. Amelie erzählte von ihrem Kurztrip nach Berlin, wobei sie Details, insbesondere die Existenz dieses unverschämten Amerikaners, tunlichst für sich behielt. So tat sie die Reise als eine schon länger von ihr geplante ab und ersparte sich dadurch wohl einen von Fragen durchlöcherten Bauch. Amelie bemerkte erleichtert, wie ihre Mutter sich zusehends entspannte, sogar ab und an herzhaft lachte.
»Und was hast Du als Nächstes vor?«, fragte Magda und schenkte noch ein bisschen von dem köstlichen Pfefferminz-Tee nach.
»Mmm, ich dachte, ich bleibe ein oder zwei Wochen bei Euch, vielleicht auch länger. Dann wollte ich noch eine mehrtägige Radtour machen, die Quacksalber meinen ja immer, dass mehr Bewegung nicht schaden würde. Vielleicht fahre ich den Mosel-Radweg. Da gibt es tolle Burgen zu besichtigen.«
»Schön, dass Du Pläne hast, und natürlich kannst Du, solange Du magst, bei uns bleiben.«
Amelies Handy, das auf dem Tisch vor ihnen lag, vibrierte. Sie nahm es in die Hand und schaute aufs Display. Wieder errötete sie, was Magda auch diesmal nicht verborgen blieb.
Amy, kannst Du bitte Mal Deinen Hintern an den nächsten PC bewegen? Ich muss Dich sprechen, muss Dich sehen. James
Amelie schaute atemlos auf die SMS, las sie ein zweites und auch noch ein drittes Mal. Dass er sich so schnell meldet, damit hatte sie nicht gerechnet. Irritiert nahm sie das wilde Klopfen ihres Herzens zur Kenntnis.
Boah Amelie, reiß Dich mal zusammen! Es ist nur James. Ein Freund, ein wirklich sehr guter Freund!.......Äääh…..der allerdings verdammt gut küssen kann.
Sie schnappte verlegen nach Luft und blickte ängstlich auf ihre Mutter. Na hoffentlich konnte die jetzt nicht plötzlich Gedanken lesen.
Doch Magda schöpfte keinen Verdacht. Noch nicht! »Was ist?«, fragte sie stattdessen besorgt. »Schlechte Nachrichten?«
Ihre Tochter schüttelte mit dem Kopf. »Nein, eine Kommilitonin«, haspelte sie nervös. »Sie hat gehört, dass wir einen neuen Prof bekommen, und möchte mit mir skypen. Mein Laptop ist in Hamburg, kann ich vielleicht Papas iPad benutzen?«
»Skypen?« stieß Magda verächtlich hervor. »Ihr jungen Leute und dieser neumodische Kram. Aber bitte, nimm sie ruhig, diese Höllenmaschine. Papa hat sie eh schon seit Monaten nicht mehr angerührt.«
Amelie verdrehte die Augen im Kopf. Ihre Mutter wetterte immer gerne gegen die neusten Techniken. Was allerdings Hohn und Spott war, wenn man bedachte, dass sie selbst Anfang der 90iger Jahre die alte Schreibmaschine auf den Dachboden verbannt hatte und stattdessen einen hochmodernen Klapp-Computer, wie sie ihn nannte, benutzte. Damals als sie noch geschrieben hatte. Egidius Johannson war da schon ein anderer Fall. Amelie hatte es sich gleich gedacht, dass ein iPad sicher nicht das passende Weihnachtsgeschenk für den Vater war, aber ihr jüngster Bruder Elias hatte gemeint, es wäre ein Versuch wert.
Eilig rannte sie in das derzeit verwaiste Arbeitszimmer ihres Vaters und nahm das iPad aus dem Regal. Hilfe, konnte das wahr sein? Kichernd blies sie eine leichte Staubschicht von dem Gerät und verschwand dann eilig mit ihrer Eroberung in ihr Zimmer in der oberen Etage.
Geschlagene 15 Minuten
Weitere Kostenlose Bücher