Die Tiefe einer Seele
Irgendwie verletzte sie das, obwohl es albern war. Schließlich hatte gerade sie kein Recht, Offenheit von ihm zu verlangen. Absolut gar kein Recht. Das sah sie ein und deshalb gab sie Ruhe. Vorerst!
»Also gut, Prescott!«, meinte sie nach einer kleinen Pause. »Dann sollten wir vielleicht jetzt überlegen, wie wir Dein Projekt voranbringen, wenn Du wieder da bist. Ich habe mir da so meine Gedanken gemacht. Willst Du den Reiseführer eigentlich auf Deutschland beschränken? Ich finde, auf so einige andere Orte in Europa solltest Du zumindest hinweisen. Ich denke da zum Beispiel an das Anne-Frank-Haus in Amsterdam.«
Sekunden später waren die zwei in eine sehr intensive Fachsimpelei vertieft, die sie gar nicht merken ließ, wie schnell die Zeit verflog. Erst als Magda Johannson ihre Tochter zum Abendbrot rief, beendete diese das Gespräch mit James. Ungläubig schaute sie auf die Uhr. Sie hatten fast drei Stunden miteinander gesprochen. Müde reckte sie die Arme und massierte ihren verspannten Nacken. Ja, sie war erschöpft, aber irgendwie fühlte sie sich frei und unbeschwert. Ein Gefühl, das sie lange nicht mehr gehabt hatte, eines, das sie seit Ewigkeiten vermissen musste.
Kapitel 22
16. Mai 2013 – Washington D.C.
»Wieso werde ich das Gefühl nicht los, dass das ein Erpressungsversuch ist, Dad?«
William B. Prescott IV. drückte auf den Schalter an seinem Nachtschränkchen und fuhr das Kopfteil des Bettes ein wenig höher. »Wie bitte? Bist Du etwa aus Deutschland hergeflogen, um Deinem alten Vater solch ungeheuerliche Vorwürfe zu machen?«, schnaubte der grauhaarige Mann mit eisiger Miene.
James biss sich beklommen auf die Unterlippe. »Ja entschuldige, aber der Verdacht ist naheliegend, dass Du einen Verkauf nur in Betracht ziehst, um mich umzustimmen. Damit ich endlich nachgebe und die Leitung des Konzerns übernehme.«
»Kann es sein, dass Du Dich da ein wenig zu wichtig nimmst, mein Sohn? Meine Entscheidung, Prescott Publishing zu veräußern, hat nicht im Geringsten etwas mit Dir zu tun, sondern damit, dass ich nicht länger gewillt bin, mein Leben, meine Gesundheit zu opfern. Die jüngste Herzattacke war ein neuerlicher Warnschuss und ich habe begriffen, dass es irgendwann nicht mehr bei der Warnung bleibt, dass die Munition immer schärfer und am Ende tödlich sein wird. Das ist mein einziger Beweggrund. Wenn Du Dir Sorgen machen solltest um Dein Erbe, so kann ich Dich beruhigen. Ich denke, dass ich einen guten Verkaufserlös erzielen werde. Danach richte ich für Dich und Deine Geschwister Fonds ein, die Euch ab Eurem 50. Geburtstag zur Verfügung stehen. Bis dahin solltet Ihr selbst über die Runden kommen.«
James schnappte nach Luft. Mühsam versuchte er, seine Wut zu unterdrücken, was ihm aber nur spärlich gelang. »Bist Du eigentlich noch ganz bei Trost, Dad?«, brauste er auf. »Als ob es jemals ums Geld gegangen wäre. Jedenfalls nicht für mich, und ich glaube, da kann ich auch für meine Brüder und Erin sprechen, oder?« Er schaute seine Schwester an, die in einem für sie untypischen Schweigen den Disput der Männer verfolgte. Sie nickte und wandte sich an ihre Mutter, die auf der anderen Seite des Krankenbettes saß.
»Mom, hast Du nicht Lust mit mir ein Stück Kuchen in der Cafeteria zu essen? Diese beiden Knurrhähne schlagen mir ganz beträchtlich auf mein sonniges Gemüt, und ich glaube, sie müssten mal ein paar Minütchen für sich haben.«
Silvia schaute zweifelnd zwischen ihrem Mann und ihrem Sohn hin und her. »Ihr schlagt Euch aber nicht die Köpfe ein, während wir weg sind?«, fragte sie besorgt.
»Warum sollten wir?«, erwiderte Wills Prescott betont lässig. »Es ist doch alles geklärt. Jetzt haut schon ab, und wenn Ihr wiederkommt, habt Ihr hoffentlich eine leckere Puddingschnecke für mich mit im Gepäck. Der Krankenhausfraß ist ja eher dazu geeignet, eine Insektenplage hervorzurufen, als dass er munden, geschweige denn sättigen würde.«
Seine Frau sah ihn tadelnd an, folgte dann aber ihrer Tochter. Als die Tür sich hinter den beiden schloss, stand James auf und trat ans Fenster. »Wieso sagst Du, dass alles geklärt ist, Dad?«, brummte er verstimmt. »Dafür müsstest Du erstmal mit uns gesprochen haben. Ich kann mich aber nicht daran entsinnen, dass ich ein Memorandum, einen Anruf oder eine sonstige Meldung bekommen habe, und ich wette, der Rest der Familie auch nicht. Du hast das mal eben ganz alleine entschieden. Das finde ich
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