Die Tiefe einer Seele
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17. Mai 2013 – Washington D.C.
»Du wirst also nachgeben?« Bill Prescott schaute genauso ungläubig wie auch irritiert und hatte somit den haargenau gleichen Gesichtsausdruck wie seine Geschwister Ruben und Erin. Die Einzige, die sich diesem Club der Zweifelnden nicht anschließen wollte, war Silvia Prescott. Sie strahlte, als wenn sie plante, in der kommenden Weihnachtszeit die Washingtoner Innenstadt ganz alleine festlich zu beleuchten.
»Danke, mein Sohn«, frohlockte sie, sprang auf und fiel James um den Hals.
»Mom, kannst Du mich bitte loslassen? Erstens schnürst Du mir die Luft ab, zweitens ist das mehr als peinlich, und drittens ist Deine Freude eventuell ein wenig verfrüht. Ich habe lediglich gesagt, dass ich es nicht zulassen werde, dass Dad Prescott Publishing verkauft, auch wenn ich das nach wie vor für ein gigantisches Theaterspiel von ihm halte. Dafür wird er sicher noch bei Gelegenheit Rechenschaft ablegen müssen. Und ich gebe übrigens bestimmt nicht nach, sondern lenke höchstens ein. Das bedeutet, dass ich gegebenenfalls bereit wäre, aber nur ganz vielleicht, und wenn, dann auch nur auf Probe, in die Geschäftsleitung mit einzusteigen. Mit der Option, jederzeit wieder aussteigen zu können.«
Angespannt blickte er in die Runde. Er hatte keinen Schimmer, ob er seine Worte nicht in den nächsten 120 Sekunden bitterlich bereuen würde. Herrje, er war sich doch so sicher gewesen, dass er das alles nicht mehr wollte. Noch vor drei Tagen hätte er seinen Arsch darauf verwettet, dass kein Argument, kein Rat, kein Bitten oder Flehen ihn jemals von seinem Entschluss abbringen würde, PP hinter sich zu lassen. Ein für alle Mal. Doch dann landete dieses Mädchen auf seiner Motorhaube und veränderte alles. Veränderte ihn. Ja, seine Welt drehte sich immer noch um ihre Achse, aber plötzlich und unerwartet in die entgegengesetzte Richtung. Er hatte nicht aufhören können, darüber nachzugrübeln. Nach den ruhelosen Stunden des frühen Morgens hatte er sich auch den ganzen Vormittag damit auseinandergesetzt, während er sein Handy beinahe hypnotisiert hatte. Und mit jeder Minute, in der Amelie ihm ein Gespräch verweigerte, nicht zuließ, dass er sich gescheit bei ihr entschuldigte, hatte er klarer gesehen. Sie hatte recht, er musste es zumindest versuchen. Das war er seiner Familie und sich selbst einfach schuldig. Also hatte er, bevor ihn der Mut wieder verließ, seine Mutter und seine Geschwister angerufen und sie zum Lunch in das Morton`s geladen. Zum Glück war auch Bill in der Nacht aus Los Angeles eingetroffen, so war der Familienrat vollständig. Na fast, der Senior lag ja immer noch im Krankenhaus, aber er würde schon früh genug erfahren, dass sein Coup gelungen war.
»Ach James, Du ahnst ja gar nicht, welche Last Du mir, uns allen von den Schultern nimmst.« Seine Mutter schwebte nach wie vor auf Wolke 7.
»Mom, kannst Du jetzt mal aufhören? Du tust ja gerade so, als wenn ich ein Engel wäre.«
Erin lachte laut auf. »Nö, mein lieber Bruder, das bist Du sicher nicht, dafür hast Du viel zu viel Haare an den Beinen und warst zudem auch noch jahrelang mit dem Teufel in persona liiert, Pardon, sogar verheiratet.«
»Erin!« Ein Chor der Empörung schallte dem Lästermäulchen entgegen, bestehend aus den Stimmen ihrer Brüder und der ihrer Mutter. Die junge Frau zuckte kurz zusammen, blickte dann aber so selbstbewusst wie eh und je in die Runde.
»Kannst Du nicht endlich mal aufhören, auf Anabel rumzuhacken?«, schnauzte Ruben sie wütend an.
»Nee, kann ich nicht, Bruderherz«, motzte Erin zurück. »Oder nein, könnte ich vielleicht doch, wenn es nur um die Beleidigungen gehen würde, mit der sie die ganze Familie nach Liams Tod im Sekundentakt belegt hat. Aber es fällt mir schwer zu vergessen, dass sie James in aller Öffentlichkeit als Mörder bezeichnet hat. Ihn angezeigt hat wegen der Verletzung seiner Aufsichtspflicht, auf ein wahnwitziges Schmerzensgeld verklagt hat, und als ob das nicht schon genug gewesen wäre, ihn bei der Scheidung ausgenommen hat, wie einen fetten Truthahn an Thanksgiving. Nur weil unser Bruder zu gut für diese Welt ist und bei der Heirat keinen Ehevertrag abgeschlossen hat. Tja, und was noch? Mmm, richtig, da gibt es ja die unbedeutende Kleinigkeit, dass ihr alter Herr, der allmächtige Jonathan Fletcher nichts unversucht gelassen hat, Prescott Publishing in den Ruin zu treiben. Was er ja auch beinahe geschafft hätte. Und erinnerst Du
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