Die Tiefe einer Seele
Schuldgefühle wegen Deines Sohnes hättest. Aber wenn das so ist, was hat die Firma damit zu schaffen? Das sind doch zwei verschiedene Paar Schuhe. Ich verstehe das nicht. Bitte erkläre es mir.«
James sah sie verärgert an. »Amy, hör auf damit. Sofort! Ich will darüber nicht reden.«
»Ja, das war ja klar. Kannst Du Dich erinnern, was Du mir gesagt hast, bevor Du nach Amerika geflogen bist? Darf ich Dich zitieren? ‚Kein Problem ist so groß, dass man es nicht lösen könnte. Es gibt immer einen Weg, man muss nur bereit sein, ihn zu suchen und dann auch zu gehen!‘ Waren das nur leere Worthülsen, James Prescott? Sollte das etwa nur für mich gelten, jedoch nicht für Dich? Euer Unternehmen, das ist so außergewöhnlich. Eine beeindruckende Geschichte, eine große Tradition. Und wie man überall liest, bist Du bis zum Tode Deines Sohnes mit Leib und Seele ein Teil dieser Firma gewesen. Danach hast Du zwar Dein eigenes Ding gemacht, aber Du kannst mir nicht erzählen, dass Dir das alles am Arsch vorbeigeht. Dass Dir Prescott Publishing egal ist. So bist Du einfach nicht. Ich meine, Du solltest Dich der Situation stellen. Vielleicht probeweise. Herrje James, das tut doch nicht weh. Versuch es wenigstens!«
Der Blick des Mannes war so kühl, dass die junge Frau unwillkürlich fröstelte.
»Für jemanden, der mit seinem eigenen Leben nicht fertig wird, finde ich es ganz schön dreist, mir vorschreiben zu wollen, was ich zu tun und zu lassen habe. Du kennst mich nicht, Amelie Johannson, und auch wenn Du jeden verschissenen Artikel im Netz über mich auswendig gelernt hast, so weißt Du doch gar nichts von mir. Das alles geht Dich einen feuchten Kehricht an. Kümmere Dich um Deine eigenen Probleme und halt Dich aus meinen raus. Verstanden?«
Amelies Herz krümmte sich angesichts dieser harschen Worte zu einem winzigen, jämmerlichen Klumpen zusammen. Ihre Schultern sanken nach unten, und sie begann zu zittern.
»Ja, Du hast recht«, flüsterte sie. »Tut mir leid, es wird nicht wieder vorkommen.«
Noch ehe James etwas erwidern konnte, schnellte ihre Hand vor und sie unterbrach die Verbindung.
Schockiert saß der Mann in Washington D.C. vor dem schwarzen Bildschirm seines Laptops.
James Anthony Prescott, das hast Du ja super hinbekommen. Bist Du eigentlich total bescheuert? Sie wollte doch nur helfen. Und was tust Du? Machst sie nach Strich und Faden herunter. Dabei solltest Du Dich freuen, dass sie endlich etwas aus sich herausgeht. Sie fängt an, Dir zu vertrauen. Korrigiere, sie fing an, Dir zu vertrauen, Du Volltrottel! Kein Wunder, wenn sie sich jetzt wieder in ihr Schneckenhaus zurückzieht, hast Du Dich doch gerade nicht nur wie ein Elefant im Porzellanladen gebärdet, sondern warst dazu auch noch schäbig und gemein. Warum machst Du das? Mutierst Du neuerdings zum Arschloch, oder ist es deswegen, weil Dir ihre Meinung so wichtig ist, und sie an dieser Stelle mit Deiner kollidiert? Egal, da wirst Du Dir etwas einfallen lassen müssen, um das wieder geradezubiegen.
Von seinem schlechten Gewissen schmerzhaft angenagt, tippte er den entsprechenden Button an, um erneut Kontakt zu ihr aufzunehmen. Ohne Erfolg, war ja klar. Hastig sprang er auf, griff nach seiner Jeans, die auf dem Hocker am Bett lag, und kramte sein Handy heraus. Nervös wählte er ihre Nummer. Zweimal klingelte es durch, dann drückte sie ihn weg! Mist, er hatte es scheinbar richtig verbockt.
Gut! Dann eben eine SMS:
Amy, bitte! Es tut mir unsagbar leid, was ich gesagt habe. Es ist ein empfindliches Thema für mich, was mir natürlich nicht das Recht gibt, Dich so anzugehen. Ich bitte Dich in aller Form um Entschuldigung. Verzeih mir noch einmal und ruf mich an! Sofort oder wann immer Du magst. Bitte! Dein James
Bis zum Morgengrauen wartete er. Wartete Stund um Stund. Dass sie ihn anrief, dass sie sich meldete. Vergebens! Und während er wartete, dachte er nach. Über das, was sie ihm gesagt hatte. Das, was er eigentlich zu ihr gesagt hatte. Einen Weg zu suchen und ihn zu beschreiten, eine Lösung zu finden. Möglicherweise lag da die Schwierigkeit. Dass er für sich andere Maßstäbe anlegte. Dass er für sich selbst das Lösen eines Problems nicht in Betracht zog. Lieber den leichteren Weg wählte, die Flucht. Er hatte Amelie vorgeworfen, dass sie mit ihrem Leben nicht fertig werden würde, aber war er am Ende einen Deut besser? Nein, war er nicht. Traurig sah er auf sein Handy.
Oh Amy, ruf doch bitte an!
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