Die Tiefe einer Seele
Zweifel erhaben, der Moment eines Aufwachens nach einem erholsamen Schlaf, in dem man eigentlich zutiefst ausgeruht und voller Frieden sein sollte, doch stattdessen sich als Hauptangeklagter eines inquisitorischen Verfahrens wiederfand. So erging es James Anthony Prescott am Morgen dieses 19. Mai, als er ins Bewusstsein zurückkehrte, und ihn ein fünfköpfiges und zehnäugiges Monster gnadenlos mit Blicken zerpflückte. Das stelle man sich mal vor. Nichts Böses ahnend hieß man den Tag willkommen und was bescherte selbiger im Gegenzug? Die komplette Familie Prescott, die ihm mal wieder jegliche Privatsphäre nahm. Was hatten sie hier zu suchen? In seinem Zimmer, an seinem Bett? Musste er sich Sorgen machen um den geistigen Zustand seiner Lieben, die nicht mal davor zurückschreckten, ihn bis hierher zu verfolgen?
»Na guck mal einer an«, hörte er die Stimme seiner Mutter wie durch eine gedämmte Wand hindurch. »Das ist sie ja wieder, unsere kleine Penntüte!«
Wie bitte? Sie? Moooooooooooom!!!!! Ich bin keine SIE, ich bin Dein Sohn, ein Mann! Mit allem Drum und Dran! Jawoll!……. Äääh, und was verflixt noch mal ist eine Penntüte? Ich werde Amy fragen. Die wird sich schäbig lachen, wenn sie mitkriegt, dass ich mal wieder im Dunkeln tappe, weil mein Deutsch so altbacken ist, wie sie gerne behauptet. Aber Moment mal! Wieso spricht Mom überhaupt Deutsch? Das tut sie doch sonst nur, wenn es ernst wird.
»Oh James, ich hatte solche Angst um Dich«, weinte ihm Erin ins Ohr.
Häääää? Was heult die denn hier rum? Habe ich etwas verpasst?
Ja, hatte er, und so langsam dämmerte es ihm. Er war nicht in seiner Wohnung in D.C., auch nicht im Haus seiner Eltern oder in irgendeinem Hotel. Diese sterilen, gekalkten Wände stanken ganz gewaltig nach Krankenhaus. Aber wieso das? Warum war er im Hospital? So sehr er sich bemühte, er konnte sich beim besten Willen nicht erinnern. Fragend sah er in die Runde, in die besorgten Gesichter seiner Geschwister, in das seiner Mutter und letztendlich in das seines Vaters. William B. Prescott IV. saß in einem Rollstuhl direkt neben seinem Bett. Er war blass und kurzatmig, und James fiel ein, dass es eigentlich sein alter Herr war, der sich wegen seiner Herzprobleme in einem Krankenhaus behandeln ließ. Aber warum zum Teufel lag er jetzt selbst hier? Was war geschehen?
»Dad? Alles klar mit Dir?« Ohne lange nachzudenken, waren ihm die Worte von den Lippen gehüpft.
»Ob mit mir alles in Ordnung ist?«, wetterte der Senior los. »Das sollte doch wohl eher meine Frage an Dich sein.«
James strengte sich erneut an, aber es gelang ihm einfach nicht, die Vorgänge, die ihn hierhergebracht hatten, zu rekonstruieren.
»Du hast keine Ahnung, was passiert ist!«, deutete Bill Prescott den verwirrten Blick seines jüngeren Bruders goldrichtig.
»Nicht wirklich!«, gestand James verlegen.
»Überhaupt nicht?«, bohrte Bill weiter nach.
Sein Bruder blinzelte. Er versuchte sich aufzusetzen, aber sofort durchfuhr ihn ein stechender Schmerz. Sein Kopf fühlte sich an, als wären zehn Zentner Kokosnüsse darauf eingeprasselt.
Stöhnend ließ er sich wieder zurücksinken.
»Nun mal langsam, mein Sohn«, ermahnte ihn Silvia Prescott und strich ihm liebevoll über das schwarze Haar. »Du hattest einen Unfall. Auf dem Weg in die U-Bahn bist Du auf der Treppe gestürzt und mit dem Hinterkopf aufgeschlagen. Dabei hast Du Dir ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma zugezogen. Zum Glück nichts Ernstes, aber immerhin warst Du zwei Tage lang ohne Bewusstsein.«
»Wie jetzt? Zwei Tage lang? Wirklich?« James wollte seinen Ohren nicht trauen.
»Ja«, schniefte seine Schwester. »Es war schrecklich, Dich so zu sehen!«
»Boah Erin, kannst Du nicht endlich dieses elende Geflenne sein lassen«, motzte Ruben die junge Frau an, die derzeit nicht gerade zu seinen Lieblingsverwandten zählte.
»Du kannst mich mal, Ruben!«, schnaubte Erin bitterböse zurück.
»Wenn Ihr beide Euch nicht augenblicklich zusammenreißt…..«, schaltete sich ihre Mutter nun lautstark und sehr aufgebracht ein. »…dann werdet Ihr mich mal kennenlernen, und zwar so richtig. Und wenn ich mit Euch fertig bin, wünscht Ihr Euch vielleicht noch nachträglich, dass Euer Vater und ich Euch zu Adoption freigegeben hätten. Euer Bruder hatte einen Unfall und braucht Ruhe. Falls Ihr weiter aufeinander einhacken wollt, tut das bitte draußen vor der Tür. Verstanden?«
Nicht nur Ruben und Erin, sondern auch die restlichen
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