Die Tochter der Dirne
durch seine Hände, benommen von dem Duft nach Zedern, in die Enge gedrängt von seinen Fragen, gab es für sie kein Entkommen. „Ich weiß nicht, was ich denke!“ Die Worte platzten aus ihr heraus, und in diesem Moment stimmten sie.
Er drückte ihre Hände fester. „Wie könnt Ihr das nicht wissen? Ihr seid das, was Ihr denkt!“
„Nein, das stimmt nicht.“ Sie entzog ihm ihre Hände und hielt das Buch wie einen Schild vor sich. „Ich bin das, was andere über mich denken. Selbst Ihr. Ihr fragtet nach etwas Wahrem, und ich sagte es Euch, aber Ihr wollt es nicht glauben. Ihr habt bereits entschieden, wer ich bin. Nichts von dem, was ich sage oder tue, wird an Eurem Urteil etwas ändern.“
„Das liegt daran, dass Ihr nur gelogen habt.“
Sie seufzte. Ein Leben mit diesem Mann würde eine Qual sein.
„Wie ist es, niemals daran zu zweifeln, ganz allein im Besitz der Wahrheit zu sein?“, fragte sie. Sie konnte sich nicht vorstellen, jemals so viel Sicherheit zu besitzen, sich so wenig darum zu kümmern, was der Rest der Welt dachte.
Ein schmerzlicher Ausdruck, der tief aus seinem Innern zu kommen schien, trat in seine Augen.
„Ich habe nicht immer recht“, sagte er endlich. Dieses Bekenntnis schien ihm schwerzufallen.
„Ich habe nie gehört, dass Ihr einen Zweifel äußert“, sagte sie überrascht. „Welche Meinung stellt Ihr infrage?“
„Ich bin nicht mehr sicher, ob ich in Bezug auf Euch recht habe.“
Das Herz schlug ihr bis zum Hals. „Was meint Ihr damit?“
Er kam näher, und sie zwang sich, nicht zurückzuweichen. Er berührte sie nicht, sondern schaute sie nur an, als sähe er sie zum ersten Mal, und die Luft zwischen ihnen schien zu vibrieren.
Während das Feuer ihr den Rücken wärmte, betrachtete auch sie ihn. Auf seiner Stirn zeichneten sich zwei strenge Linien ab, seine Züge wirkten unerbittlich: die dichten Brauen, die scharf geschnittenen Wangenknochen, sogar das kleine Grübchen an seinem Kinn.
Er war ein unnachgiebiger Feind des Königs, und er hasste sie. Doch wenn sie ihm so nahe war wie jetzt, spielte nichts von dem eine Rolle.
„Ihr beugt Euch der Macht“, sagte er schließlich, „doch in der Verteidigung Eurer Familie und Eurer Freunde gebt Ihr nicht nach.“
„Und Ihr haltet starrsinnig an der Illusion fest, dass das Gesetz Gerechtigkeit schafft.“
„Ihr seid genauso starrsinnig wie ich.“
„Ihr werft mir vor, nachzuplappern, was andere sagen, das ist kaum das Handeln einer starrsinnigen Frau.“
„Ich beginne zu glauben, Eure Nachgiebigkeit ist vorgetäuscht. Wenn es um das Erreichen eines Ziels geht, seid Ihr sehr entschlossen.“
In seiner Stimme hörte sie etwas wie Wärme und Staunen. Ausnahmsweise machten seine Worte sie nicht wütend, sondern schenkten ihr Ruhe und Sicherheit. „Und Ihr seid davon überzeugt, die Wahrheit sagen zu müssen, egal, was die anderen denken.“
Er sah ihr in die Augen. „Und ich möchte, dass die Frau, die meine Gemahlin werden soll, dasselbe tut.“
Sie zögerte. Sie wollte mehr. Ehe sie sprach, wollte sie wissen, dass er die Wahrheit nicht nur hören wollte, sondern auch bereit wäre, sie zu akzeptieren.
„Sagt mir …“, er berührte ihre Wange und zwang sie, ihn anzusehen, doch seine Stimme war sanft, „… glaubt Ihr, dass Ihr die Sterne deuten könnt?“
Sie spürte seinen Atem an ihren Lippen.
Wie würde es sein, die Wahrheit zu sagen? Würden die Worte süß schmecken wie Honig?
„Ich glaube, dass die Sterne unsere Welt erhellen können“, begann sie, überrascht, dass sie nicht an diesen Worten erstickte. Stattdessen schienen sie eine Flut auszulösen, die ihre Angst hinwegschwemmte. „Ich weiß nicht, ob ich die Fähigkeit besitze, die Wahrheit zu enthüllen, aber ich habe einer Freundin versprochen, es zu versuchen.“
Er nickte und ließ ihre Wange los. „Und was werdet Ihr Agnes sagen?“
Sie versuchte erst gar nicht, den Namen ihrer Freundin zu verleugnen. Sie hatte nur die eine. „Einiges, was sie hören möchte, und anderes, was sie nicht hören möchte.“ Hibernia mochte schlecht sein für den König, aber Agnes’ Karte zeigte eine Veränderung.
„Ist das eine ausgewogene Antwort, die gefallen soll?“
„Nein. Ich weiß es nicht besser.“
Die harten Linien um seinen Mund wurden weicher. „Dann bin ich stolz auf Euch.“
Ihr wurde warm von seinem Lob. Aus irgendeinem Grund hatte sie ihn erfreut, ohne sich darum zu bemühen. Sie ließ seine Worte still verklingen, um diesen
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