Die Tochter der Dirne
beweisen.
Ein Hieb mit den Stoßzähnen würde genügen, um einen Mann in zwei Hälften zu spalten. Selbst einen König.
Justin und der Rest der Gesellschaft ritten hinterher, kämpften sich durch niedrig hängende Zweige, folgten dem Bellen und Jaulen nach. Was würde aus dem Thron werden, wenn der kinderlose König so leichtsinnig wäre, sich von einem Wildschwein töten zu lassen?
Der Gedanke traf ihn mit derselben Heftigkeit, wie die Blätter ihm ins Gesicht schlugen. Wenn ihm das aufgefallen war, dann hatte auch Gloucester schon daran gedacht. Nur zu gern würde er den Platz seines Neffen einnehmen. Das war nicht der Plan des Parlaments, aber vielleicht der Gloucesters?
Als sie eine Lichtung erreichten, stand der König über das sterbende Wildschwein gebeugt, das von einem Speer getroffen war. Während die Pferde den Boden zertrampelten, stieß das Tier auf dem nassen Boden seinen letzten Atemzug aus. Seine Eingeweide färbten den Schnee blutrot.
Justin wendete sein Pferd. Ein sinnloser Mord. Morgen würden sie den Fastenhering essen. Wieder einmal hatte der König Geld, ja sogar Leben verschwendet zu seiner Unterhaltung. Weil er es wollte. Weil er es konnte.
Weil er der König war.
Die Gesellschaft hatte die Pagen zurückgelassen, damit sie den Eber banden. Auf dem Weg zurück zum Schloss lenkte der König, der jetzt rosige Wangen hatte und lächelte, sein Pferd neben das von Justin.
„Ich hörte, Ihr seid ein Experte in der Definition von Verrat“, sprach Richard.
Kam denn jedes Wort, das er zu ihr sagte, dem König zu Ohren? „Ich habe die Rechte studiert. Ich kenne die Definitionen in allen Statuten.“
„Und habt Ihr dem Rat in Fragen des Verrats zur Seite gestanden?“
Er sah den König scharf an. „In dieser Sache braucht der Rat keine Hilfe. Nichts von dem, was wir tun, ist Verrat.“
„Und was ist mit dem Verrat, der nicht in den Statuten beschrieben ist? Was habt Ihr dem Rat darüber gesagt?“
Hochverrat ist kein Scherz, er hatte sie gewarnt. Doch gnadenlos hatte sie ihn dem Zorn des Königs ausgeliefert, so unvermeidlich wie der Tod des Ebers. „Es ist kein Verrat, wenn es nicht im Gesetz geschrieben steht.“
„Das entscheiden Richter, nicht Worte auf Pergament.“
„Aber die Richter haben geschworen, das Recht zu achten.“
Richards ernste Miene wirkte nun flehend. „Warum müsst Ihr in allem gegen mich sein?“ Der Tonfall des Königs erinnerte Justin an seinen sechsjährigen Neffen, wenn dieser nicht ins Bett wollte.
„Ich bin nicht gegen Euch, Majestät. Zwischen dem Gesetz und dem König gibt es keinen Konflikt.“
„Genau!“ Der König ließ sein Pferd schneller laufen, als das Schloss in Sichtweite kam. „Gott ernennt den König, daher bin ich das Gesetz! Nur wenn sich alle Männer mir anschließen, kann es Frieden geben im Reich.“
Plötzlich war es Justin, als sähe er Richard zum ersten Mal. Hier war ein Mann, der wirklich glaubte, das ganze Reich allein auf seinen schmalen Schultern zu tragen. Aber Bündnisse durften nicht nur auf einem Mann beruhen, sonst würde das Reich nichts weiter sein als eine Ansammlung streitender Stämme.
Und er wusste, dass der König das nicht verstand und auch nicht die Weisheit besaß, es zu lernen. Schon als Junge war er das Zentrum weltlicher Macht gewesen, und er kannte nur die Welt, die sich immer um seine Wünsche gedreht hatte.
„Majestät, selbst ein König kann nicht Gottes Gesetz brechen.“
Ein selbstzufriedenes Lächeln umspielte Richards Lippen. „Ihr werdet überrascht sein, was ein König alles tun kann.“
Justin räusperte sich. „Ich habe gelernt, mich nicht von Eurer Majestät überraschen zu lassen.“
„Was denkt Ihr inzwischen über Eure Verlobte, Lamont?“,fragte der König nach einer Pause. „Sehnt Ihr Euch nicht danach, sie in Euer Bett zu holen? Oder habt Ihr das schon getan?“
Justin dachte daran, wie sie halb entblößt auf dem Steinboden gelegen hatte. Noch immer wusste er nicht, woher er die Kraft genommen hatte, ihr zu widerstehen, aber Richards anzügliche Bemerkung ärgerte ihn. „Sie wird erst das Bett mit mir teilen, falls wir einmal verheiratet sind.“
Ein Page half dem König beim Absitzen. „Nun denn, gebt sie frei. Ich werde ihr einen anderen Gemahl suchen.“
Justin umklammerte die Zügel so fest, dass sein Pferd den Kopf zurückwarf. War das nicht das, was er wollte? Sie loswerden? „Noch nicht, Majestät.“ War es Eifersucht, die da aus ihm sprach? Dass der König
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