Die Tochter Der Goldzeit
aufgespürt!
»Ginolu von Apenya?« Fragend betrachtete der Fremde ihn.
Bosco nickte.
Der Schwarzmantel zählte dem sprachlosen Sklaven neun Silberstücke auf den Tisch, frisch geprägt, eines für jeden Sommer seiner Gefangenschaft. »Der neue Fürst von Dalusia schenkt allen die Freiheit, die unter der Herrschaft des alten Fürsten in Sklaverei geraten sind«, erklärte er. Er reichte Bosco ein in helles Leinen gebundenes Büchlein, klein genug, um es in eine Manteltasche zu stecken. »Lies das und lerne«, sagte der Schwarzmantel. »Und gehe heim an die Westküste von Apenya, ins Reich des neuen Königs Betavar. Kämpfe an seiner Seite für die Wahre Goldzeit.«
Keinen Ton brachte Bosco über die Lippen. Zu sehr verwirrte und erschütterte ihn diese unerwartete Wendung seines Schicksals. Sie nahmen ihm die Fußketten ab, während er in dem Buch blätterte -eine Ausgabe des Spruches Dashirins an Alphatar in der Sprache der Westküstenbewohner. Schweigend steckte er Silber und Buch ein und machte sich auf den Weg zur Südküste von Dalusia.
Im ersten Dorf, durch das er kam, bezahlte er mit einem Silberstück Waffen, Ausrüstung und eine zugerittene Hirschkuh. Da erst betrachtete er die Silbermünzen genauer. Auf einer Seite sah man einen Greifen mit gespreizten Schwingen über einem Schild. Den Schild flankierten zwei Tiere, deren Bezeichnung Bosco schon auf der Mauer von Chiklyo nicht eingefallen war. Die Prägung der anderen Seite zeigte einen Mann mit Augengläsern und Halbglatze. Fürst Nadolpher von Dalusia stand darunter und eine Jahreszahl: 485 n.G.
Der Winzling auf dem Dünenkamm vor Chiklyo! Der Zwerg, der das Poruzzenschiff samt Frauen und Kinder versenken ließ! Dann konnte der dämonische Kriegsmeister, von dem der neue Sklave erzählt hatte, doch nur jener graue Ritter mit dem roten Mantel gewesen sein.
Trotz des heißen Sommerwetters fröstelte Bosco.
In der Bucht von Olmerid ging er an Bord eines Zweimasters. In seiner Kajüte hing ein Rasierspiegel über dem Waschtisch. Bosco betrachtete den bärtigen Kahlkopf darin. Eine tiefe Kerbe stand zwischen den schwarzen Brauen des Fremden und verlieh seiner Miene einen misstrauischen, beinahe düsteren Zug. Die dunkelblauen Augen blickten ernst und prüfend. Wann hatte der Mann im Spiegel seine jugendliche Leichtigkeit verloren? Im Steinbruch? Als er sterbend auf dem Meer trieb? Oder schon auf jener Leiter, als er zwischen dem Mädchen und dem Höhleneingang gehangen hatte?
Der Kapitän erzählte Bosco von fremden Kriegern, die weite Teile der Westküste von Boscos Heimat Apenya erobert hatten. Der eiserne Riese Betavar war ihr König. Nur wenige Stämme und Siedlungen widerstanden ihm noch. Bis tief in den Süden hatte er seine Herrschaft ausgeweitet, sogar ein Stück ins Landesinnere hinein. Er suchte nach unterirdischen Städten.
Bosco schwante Böses.
Das Schiff ging in einem Hafen im äußersten Süden von Apenya vor Anker. Bis hierher waren die Krieger des Eisenriesen noch nicht vorgedrungen. Um ihnen nicht in die Arme zu reiten, durchquerte er auf dem Rücken der Hirschkuh die Breite der Insel und ritt dann auf der Ostseite des Gebirgszuges nach Norden.
Drei Monde später stieg er erneut die Berge hinauf, diesmal in Richtung Westen. In den Hängen begegnete er Waldnomaden. Die Horde war auf der Flucht. Ihr Häuptling berichtete von grausamen Jägern und kleinen, listigen Kriegern in schwarzen Rüstungen. Zwei ihrer Lagerplätze hätten sie geplündert und alle getötet, die sich ihnen widersetzten. Von der Westküste aus seien die Fremden unter der Führung eines schwarzen Eisenriesen in die Hügelwälder jenseits des Gebirges eingedrungen.
»Dort jagen sie Maulwürfe«, sagte der Nomadenhäuptling. »Ein Hexer kämpft an Betavars Seite«, behauptete er mit vor Schrecken geweiteten Augen. »Ein mächtiger Hexer.«
Nichts, was Bosco gefallen konnte. Suchten sie also schon im Hügelland nach der Erdstadt? Er überließ den Barbaren die Hirschkuh und stieg mit weichen Knien weiter zum Gebirgskamm hinauf.
Am nächsten Morgen stand er bis zu den Hüften im Uferwasser eines Bergsees und wartete auf Fische. Als endlich einer heranglitt, beugte er sich über das Wasser, hob langsam die Rechte - und verharrte über seinem Spiegelbild: Sein Bart war struppig und lang, sein Gesicht und Kahlschädel knochig, die Augen lagen ihm tief in den Höhlen. Er lachte in sich hinein, weil ihn der erbärmliche Kerl im Wasserspiegel an einen gerupften Waldkauz
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