Die Tochter der Hexe
flackerten.
«Komm.» Marusch nahm sie beim Arm. «Ich bringe dich zurück. Du wartest am besten im Lager.»
Nur das nicht. Nur weg von den anderen, sie musste allein sein. Und den Steinbruch finden. Er hatte ihr Kind entführt und würde es töten, wenn sie nicht käme.
«Nein, lass mich. Geh weitersuchen, bitte.»
Maruschs Blick wurde fragend. «Du siehst aus, als wärest du dem Leibhaftigen persönlich begegnet. Was ist geschehen?»
Marthe-Marie ballte die Fäuste. «Wenn ich es doch sage. Ich habe mich nur erschrocken.» Unruhig sah sie sich um.
Marusch betrachtete sie prüfend, dann ließ sie sie los.
«Wie du meinst. Dann nehme ich den Pfad links vom Weiher.»
Marthe-Marie nickte nur. Ihr Widersacher war rechts des Weihers verschwunden. Sie wartete noch, bis Marusch im Unterholz verschwunden war, dann machte sie sich auf den Weg hinauf zur Straße.
Dort schlug sie, ohne nachzudenken, die Richtung nach Waldsee ein. Es ging leicht bergab. Hinter jeder Biegung vermutete Marthe-Marie ihren Verfolger, die Angst nahm ihr fast den Atem. Doch die Sorge um ihr Kind trieb sie Schritt für Schritt vorwärts, immer näher zu ihm. Womöglich war das das Ende ihrer Reise, das Ende ihres kurzen Lebens. Wenn Agnes nur nicht alleine sterben musste, dann würde sie mit Gott nicht hadern wollen.
Sie hatte kein Gefühl dafür, wie lange sie schon unterwegs war, als sie mitten auf der Straße einen deutlich von Menschenhand zugespitzten Knüppel liegen sah. Seine Spitze zeigte nach links.
Benommen trat sie an die Böschung am Wegesrand und entdeckteeinen steinigen Pfad, der zwischen dichtem Strauchwerk nach unten führte. Ihre Füße tasteten sich wie selbständige Wesen voran, in ihrem Kopf hämmerte ein einziges Wort gleich den Schlägen einer Axt: Agnes! Als sie den Steinbruch erreichte, war niemand zu sehen.
«Hier entlang!»
Hinter den zur Seite gebogenen Zweigen eines Haselgebüschs erschien sein Gesicht, lächelnd, von der wulstigen Narbe grotesk entstellt.
«Du bist allein.» Seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Er trat auf sie zu, ergriff ihren Arm und zerrte sie hinter den Busch, wo sich eine halbkreisförmige Freifläche vor abgeschlagenen Felsen befand.
«Wo ist meine Tochter?»
«Nicht weit von hier.»
«Ich will sie sehen.»
Er stieß ein kaltes Lachen aus. «Du hast hier keine Bedingungen zu stellen, Hexentochter. Los, dreh dich um.»
Sie gehorchte widerstrebend. Rasch band er ihr die Hände auf dem Rücken zusammen, dann stieß er sie zu Boden und kniete sich neben sie.
«Wenn du auch nur einen Schrei herauslässt», er zog einen Dolch aus seinem Gürtel und legte ihn neben sich, «dann steche ich zuerst dich, dann deine Tochter ab. Hast du das verstanden?»
Sie nickte.
Er griff ihr in die Haare. «Antworte gefälligst, wenn ich mit dir rede. Ob du mich verstanden hast?»
«Ja.»
«Lauter!»
«Ja!»
Er riss ihr Leibchen entzwei und betrachtete ihre nackten Brüste. Seine Lippen begannen zu zittern.
«Gibst du zu, dass du mit Satan buhlst, wie es schon deine Mutter getan hat?»
Sie starrte ihn entsetzt an.
Er spuckte auf ihre Brüste. «Gibst du es zu?»
«Nein.»
«Wie dumm von dir. Für jede Lüge wird sich die Qual deiner Tochter verlängern. Und deine auch.»
Er nahm den Dolch und fuhr damit sanft in die Spalte zwischen ihren Brüsten. Eine Kette feiner roter Blutstropfen trat hervor. «Gestehst du nun, dass du dich Satan in Wollust hingibst?»
«Ja.» Ihre Antwort war nur ein Hauchen. Sie schloss die Augen. Herr, auch wenn du mich aufgibst, um meiner vielen Sünden willen – rette wenigstens meine Tochter. Sie hat niemals etwas Böses getan.
Wie aus weiter Ferne hörte sie seine Stimme. «Ich weiß alles über dich. Meister Siferlin hat mir in den letzten Stunden seines Lebens verraten, dass du keine Mangoltin bist, sondern die Tochter einer Hexe, in sündiger Wollust gezeugt von einem Schlossergesellen namens Benedikt Hofer. Ja, da staunst du, was ich weiß. Dein Leben ist nichts als eine einzige Lüge, aus Dreck und Sünden zusammengebacken, nicht mehr wert als der Auswurf eines Siechen. Hast geglaubt, du könntest dich verstecken bei diesen Landstreichern. Doch mich, Meister Wulfhart, kannst du nicht in die Irre führen.»
«Woher – kennt Ihr meine Mutter? Woher – Siferlin?» Sie konnte kaum Sprechen vor Entsetzen.
«Ich war ja dabei.» Sein Kichern klang nun vollkommen irre. «Ich war dabei, wie mein Vater Catharina Stadellmenin die Daumen zu Brei gequetscht
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