Die Tochter der Ketzerin
Vater zu Thomas Chandlers Schmiede, um einen kleinen Beutel Nägel zu kaufen und eine unserer Sicheln nachschleifen zu lassen. Thomas Chandler war der Bruder von William Chandler, dem Gastwirt, und gehörte zu den angesehensten Männern von Andover. Seine Schmiede war ein Treffpunkt für die Männer in der Stadt. Zunächst hatte Vater mich angewiesen, zu Hause zu bleiben und auf Hannah aufzupassen, denn Richard war früh aufgebrochen, um einen Sack mit Lebensmitteln nach Salem ins Gefängnis zu bringen, sodass Tom und Andrew die Farm allein versorgen mussten. Doch ich hatte inzwischen Todesangst davor, ohne seinen Schutz zurückbleiben zu müssen. Die Furcht machte mich starrsinnig, und ich drohte, mich vor die Räder des Wagens zu werfen, wenn er mich und Hannah nicht mitnahm. Also ließ er sich schließlich erweichen und hob uns hinauf auf den Bock. Der Weg zur Schmiede am Ufer des Shawshin River war fast derselbe wie bis zur Stadtmitte, nur dass man an der Newbury Road kurz vor dem Friedhof scharf nach Westen abbiegen musste. Als wir die kleine Brücke überquerten, standen da bereits vier oder fünf Wagen, deren Besitzer etwas reparieren oder schleifen lassen mussten oder neue Werkzeuge kaufen wollten, denn die Erntezeit stand vor der Tür.
Bei unserer Ankunft standen die Männer in Grüppchen beieinander und tauschten, bis sie an der Reihe waren, gewiss die neuesten Nachrichten aus dem Dorf aus. Doch als Vater aus dem Wagen stieg, verstummten die Gespräche schlagartig. Nachdem die Männer uns kurz angestarrt hatten, wandten sie sich ab, als wehe ein kühler Wind vom Wasser herauf, zogen verlegen die Schultern hoch und malten mit den Stiefelspitzen kleine Inseln in den Staub. Vater hingegen war ein Mensch, der nie mit den Füßen scharrte und im Laufschritt durchs Leben marschierte. Da er sehr lange Beine hatte, musste ich rennen, wenn ich auf dem Weg über die Felder nicht abgehängt werden wollte. Nun nahm er seine große Erntesichel vom Karren und ging so schnell auf die Männer zu, dass der Luftzug seiner schwingenden Arme wohl ein Segel gebläht hätte. In die kleine Gruppe kam Bewegung, und es hatte zunächst den Anschein, als blieben die Männer stehen, sodass er sie würde umrunden müssen. Doch als die rostige nach oben gewandte Sichel bedrohlich näher kam, fuhren die Männer auseinander, und Vater konnte seinen Weg ungehindert fortsetzen.
Sobald er die Schmiede betreten hatte, schloss sich die Gasse wieder wie eine Wunde. Ab und zu warfen die Männer Hannah und mir verstohlene Blicke zu, die ich stets unverwandt erwiderte, was sie offenbar als Herausforderung verstanden. »Wo die Mutter hingeht, werden die Kinder wohl bald folgen«, verkündete einer, den ich nur vom Vorbeifahren auf der Boston Way Road kannte, lautstark, damit ich ihn auch ja nicht überhörte. »Wenn ich mir die Ältere so anschaue, sollten wir wahrscheinlich bald den Wachtmeister holen, bevor sie uns noch den bösen Blick anhext.« Ich ballte die Fäuste, sodass sich mein Rock auf meinen Schenkeln zu zwei Hügelchen bauschte. Die anderen Männer hatten sich umgedreht und musterten mich zweifelnd, ängstlich, spöttisch oder feindselig. Hannah kroch unter den Bock, wo sie sich wie ein gehetztes Tier versteckte.
Da ergriff ein anderer Mann das Wort. »Es heißt, es gebe eine Prüfung, mit der man eine Hexe sicher erkennen kann. Man wirft sie einfach in den Fluss. Ertrinkt sie, ist ihre Unschuld bewiesen. Wenn sie schwimmt, ist sie eine Hexe, und man kann sie wieder rausfischen und aufhängen.«
Die Männer taten zwar sehr lässig, arbeiteten sich aber immer näher an Vaters Karren heran. Ich glaube, wenn ich allein gewesen wäre, hätten sie mich, ohne mit der Wimper zu zucken, im Fluss ertränkt. Doch im nächsten Moment dröhnte eine tiefe Stimme aus der Schmiede: »Wer ist als Nächster dran?«
Die Männer wirbelten alle gleichzeitig herum, und ich sah Vater im Schatten der Esse stehen. Seine alte Sichel war geschärft und poliert, und als er ins Sonnenlicht hinaustrat, funkelte die Klinge bedrohlich. Vater überragte den größten seiner Widersacher um gute dreißig Zentimeter, und die Sonne, die ihm ins Gesicht schien, ließ seine Augen schimmern wie schwarzen Obsidian. Sein grob gewebtes Hemd war wegen der Hitze an der Esse durchgeschwitzt, sein langes Haar hing schlaff und fettig herab, und er hatte einen Rußschmierer auf der Nase. Auf die Männer im Hof wirkte er vermutlich wie ein mit Kalkstein gepuderter Druide auf
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