Die Tochter Der Midgardschlange: Die Asgard-Saga
sagte Vera.
»Was?«, murmelte Katharina.
Vera sah plötzlich beinahe fröhlich aus, nahm das Äffchen von ihrer Schulter und ließ sich in die Hocke sinken, um mit leiser Stimme und in einer vollkommen unverständlichen Sprache auf das Tier einzureden. Dwegr hörte scheinbar konzentriert zu, legte ein paarmal den Kopf abwechselnd auf die rechte und die linke Seite und ließ ein zustimmendes Keckern hören. Schließlich stieß er ein abschließendes schrilles Schnattern aus und verschwand wie der Blitz.
»Nicht dass ich es nicht ahnen würde«, sagte Edith unbehaglich, »aber verrätst du mir trotzdem, was du vorhast?«
»Er wird uns den Schlüssel besorgen«, antwortete Vera.
»Keine Angst. Das Eigentum, das vor ihm sicher ist, ist noch nicht erfunden worden.«
»So wenig wie das Schloss, das du nicht aufbekommst?«, fragte Edith.
Vera zog es vor, die Frage zu überhören. »Wohin führt dieser Tunnel?«, fragte sie stattdessen.
»Zu einem verborgenen Ausgang, nur ein kleines Stück außerhalb der Mauern«, antwortete Edith. »Er ist gut getarnt,keine Angst. Niemand wird euch sehen.« Sie zögerte einen ganz kurzen Moment. »Von dort aus müsst ihr allein schauen, wie ihr weiterkommt. Ich hatte gehofft, dass ihr draußen beim Tross ein paar Pferde stehlen könnt, aber jetzt muss es eben so gehen.« Sie seufzte noch einmal, noch tiefer. »Mit ein bisschen Glück ist er bald betrunken genug, um gar nicht zu merken, dass ihr fort seid. Und morgen früh ist euer Vorsprung vielleicht groß genug. Ihm wird nicht viel Zeit bleiben, nach euch zu suchen.« Sie sah nervös in die Richtung, in der das Äffchen verschwunden war. »Vielleicht gar keine, wenn Guthenfels früh genug eintrifft. Dann wird der Baron nach euch suchen lassen, und solange er dabei ist, wird Pardeville es nicht wagen, Hand an dich zu legen.« Sie drehte sich zu Vera um. »Und auch nicht an dich … obwohl es dir beinahe recht geschähe, du dummes Weib.«
»Was habe ich denn mit Pardeville zu schaffen?«, empörte sich Vera.
»Vielleicht nicht mit ihm, aber sehr wohl mit seinem Freund, diesem Söldner«, antwortete Edith. »Hast du etwa nicht gesehen, wie er dich angestarrt hat?«
»Das bin ich gewohnt«, antwortete Vera verächtlich, »Jeder zweite Mann starrt mich so an.«
»Aber nicht jeder zweite Mann lässt sich von Pardeville das Versprechen geben, dass er dich noch als Dreingabe bekommt, wenn der Feldzug vorbei ist«, gab Edith zurück.
Vera blinzelte. »Oh.«
»Ja, oh«, sagte Edith, »und wenn er deiner überdrüssig geworden ist, dann überlässt er dich wahrscheinlich seinen Männern.«
Dieses Mal reagierte Vera überhaupt nicht mehr, sondern starrte die Dienerin nur mit steinerner Miene an, und obwohl Katharina nicht ganz genau verstand, was Edith mit ihren Worten gemeint hatte, ging zwischen den beiden doch etwas vor,das weit über den bloßen Austausch von Blicken hinausging. Schließlich drehte sich Vera mit einem Ruck herum und setzte ihre fruchtlosen Versuche fort, ein Loch in die Tür zu starren.
Eine schiere Ewigkeit schien zu vergehen, in der sie nur in unbehaglichem Schweigen dastanden. Katharina konnte nicht sagen, wie viel Zeit, doch die Fackel, die Edith mit heruntergebracht hatte, war zu einem sichtbaren Teil heruntergebrannt, als das Äffchen zurückkam. Mit einem schrillen Keifen sprang es auf Veras Schulter hinauf und präsentierte ihr triumphierend schnatternd und Grimassen schneidend einen fast handlangen Schlüssel mit einem großen und überaus kompliziert aussehenden Bart. Vera nahm ihn lachend entgegen, tätschelte Dwegr anerkennend Kopf und Rücken und ließ sich dann in die Hocke sinken, um den Schlüssel ins Schloss zu nesteln.
Angesichts des großen Schlüssels und des noch viel gewaltigeren Schlosses hatte Katharina ein schweres Klacken oder irgendetwas noch Dramatischeres erwartet, doch das Schloss sprang nahezu lautlos auf, und die Tür bewegte sich so leise, als wären die uralten Angeln sorgfältig geölt.
Dahinter kam ein niedriger Tunnel mit halbrundem Querschnitt zum Vorschein, der aus dem gewachsenen Fels herausgemeißelt worden war, auf dem sich die Burg erhob. Ein sachter Luftzug wehte ihnen entgegen, der trocken und sehr alt roch. Edith trat als Erste ein und bedeutete ihnen mit ungeduldigen Gesten, ihr zu folgen. Die Flamme ihrer Fackel fuhr zischend an der Decke entlang, hinterließ einen schwarzen Rußstreifen und verbrannte mit Staub verklebte Spinnweben. Ihre Schritte ließen
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