Die Tochter der Seidenweberin
gar nicht verstehen kann. Den hätte ich selbst gern für ein Kleid.«
»Wenn ich dieser Ballen wäre, so wäre es mir alle Male lieber, die Schneider würden aus mir ein Kleid für dich machen, als wenn mich eine fette alte Matrone auf der Haut trüge.«
»Stephan!« Lisbeth schüttelte lachend den Kopf. Von jedem anderen hätte sie sich diese Anzüglichkeit scharf verbeten. Doch Stephan war eben Stephan. Seiner sorglosen Art wegen ließ man ihm viele Dinge einfach durchgehen wie einem jungen, tolpatschigen Hund. Treuherzig blickte Stephan sie aus dunklen Augen an, und auch darin gemahnte er Lisbeth an die freundlichen vierbeinigen Bewohner der Wolkenburg.
»Jemand muss schon wieder meinen Becher ausgetrunken haben«, sagte Stephan augenzwinkernd. »Ich hole uns noch ein Schlückchen.« Er erhob sich und nahm eine der Fackeln aus der Halterung an der Wand.
Es war ruhig geworden im Hof. Längst hatten sich auch die Musikanten empfohlen, und nur an einem Tisch hockten noch ein paar unentwegte Zecher. »Ich komme mit!«, entschied Lisbeth und lief hinter ihm her. Sie wollte nicht allein am Tisch sitzen bleiben.
Düsternis umfing sie, als sie in den Flur des Lämmchens traten. Niemand war zu sehen. Mit der Fackel leuchtete Stephan ihnen den Weg zum Kellerabgang.
Lisbeth spürte, dass ihre Beine ihr nicht vollständig gehorchten. Haltsuchend griff sie nach Stephans Wams, um nicht eine der hölzernen Stufen zu verfehlen. Es kam ihr vor, als seien sie Kinder, die heimlich in den Keller schlichen, um von verbotenen Vorräten zu naschen. Mit einem Mal überkam sie ein übermächtiger Drang zu kichern.
»Scht!«, machte Stephan und legte ihr den Finger auf die Lippen. »Du willst doch nicht, dass Mutter uns erwischt!«, flüsterte er.
Lisbeth entfuhr ein lautes Lachen. Hastig presste sie sich die Hand auf den Mund. Er hatte also den gleichen Gedanken gehegt wie sie.
Leise, Schritt für Schritt, schlichen sie die Stiege hinab. Als sie den Fuß der Treppe erreicht hatten, wandte Stephan sich nach links und drückte Lisbeth die Fackel in die Hand. Er nestelte einen Schlüssel von seinem Gürtel und öffnete die Tür zu dem Verschlag, in dem seine Waren lagerten, gerade so weit, dass sie hineinschlüpfen konnten.
Hastig zog er die Tür hinter sich zu, nahm Lisbeth die Fackel ab und steckte sie in den tönernen Maulaffen an der Wand. Flackerndes Licht fiel auf Kisten und Bündel mit Handelswaren. Zum einen Teil waren es Güter, die Stephan schon verkauft, aber den Käufern noch nicht geliefert hatte, zum anderen Teil Waren, die er just erworben hatte, um sie später in Köln zum Verkauf anzubieten.
Stephan beugte sich zu dem Weinfässchen hinab, das zum praktischen Verbrauch gleich neben der Tür stand, und ging daran, den Krug aufs Neue zu füllen, während Lisbeth weiter in den niedrigen Raum hineintrat, um sich die Waren näher zu beschauen.
Es mussten auch eine Menge Gewürze aus den neuen Ländern darunter sein, denn ein betörender Duft entströmte einigen der Packen. Lisbeth schloss die Augen. Tief sog sie den fremdartigen Wohlgeruch ein und trat noch einen Schritt näher. Ihr Fuß verfing sich in einem Knäuel Seile, das sie im Dunkel übersehen hatte, sie strauchelte und fiel vornüber.
»Lisbeth!«, rief Stephan besorgt und fuhr auf. Der Wein aus seinem Krug schwappte ihm über Hemd und Wams. Doch dann vernahm er Lisbeths Kichern. Ihr Sturz war von den weichen Bündeln Rohseide, die hier dicht an dicht gestapelt lagen, sanft abgefangen worden.
Erleichtert stimmte Stephan in ihr Gelächter mit ein. »Das ist gute venezianische Seide«, protestierte er zum Schein. Er stellte den Krug beiseite und reichte ihr die Hand. Lisbeth ergriff sie, doch bei dem Versuch, ihr aufzuhelfen, geriet auch er ins Schwanken. Lachend ließ er sich rücklings neben Lisbeth auf die Bündel fallen. »Was deine ehrwürdigen Kolleginnen vom Seidamt wohl davon hielten, dass wir uns auf ihrer Rohseide fläzen?«, witzelte er.
»Frau Ime Hofe, meine Liebe, ich als Vorsitzende des Seidamtes weiß genau, was gut für meine Rohseide ist. Sicher nicht, dass Ihr darauf herumliegt!«, imitierte Lisbeth das tiefe Schnarren Brigitta van Berchems.
Stephan rollte sich auf die Seite und stützte den Ellbogen auf. Ganz dicht war sein Gesicht dem ihren, und Lisbeth spürte seinen warmen Atem auf ihrer Haut. »Nein, Frau Ime Hofe, das gehört sich ganz und gar nicht«, flüsterte er. Seine Stimme klang mit einem Mal belegt, und von seinen Zügen
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