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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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Nacht gleich war, wen ich verletzte. Conors Gesicht war bleich und abgehärmt; er trug nicht nur die Last dessen, was gerade mit seiner Schwester geschehen war, die Schuldgefühle, nicht da gewesen zu sein, um es aufhalten zu können – das alles empfand er zweifellos –, sondern er kannte meine Gefühle aus erster Hand. Er war auf meine wortlosen Flüche und lautlosen Schreie eingestimmt, auf mein gequältes Gefühl des Verratenseins. Du warst nicht da. Ich habe dich gebraucht, und du warst nicht da. Ich konnte die Flut dieser Gefühle nicht zurückhalten. Mein Geist floss über vor Schmerz, und er nahm alles und sagte kein einziges Wort. Aber ich konnte es an seinem Gesicht erkennen. Das Schlimmste dabei war, dass es mir gleich war. Auch mein Bruder war ein Mann. Vielleicht war es nur gerecht, dass er seinen Anteil an dem Schaden trug, den andere Männer angerichtet hatten.
    Ich bin wohl kurz eingeschlafen, denn ich erinnere mich, aufgeschreckt zu sein, als Liam einen blutigen Dolch in den Boden am Feuer stieß und sich die Hände am Umhang abwischte. Die drei waren zurückgekehrt. Diarmids Gesicht war eine Maske des Zorns, Liams mühsam kontrolliert. Finbar setzte sich von den anderen entfernt hin und legte die Hände an den Kopf, als drohten seine Gedanken ihn zu sprengen. Seine Hände waren dunkel von Blut. Zu Hause hatte Donal, der Waffenmeister, sie mit all seiner Disziplin üben lassen. Selbst ich wusste, dass eine Waffe immer direkt nach dem Gebrauch gereinigt werden musste; gesäubert und geölt und sicher weggelegt. Heute Nacht war es anders. Ihre drei Dolche steckten im Boden rund ums Feuer, und das sanfte Flackern der Flammen zeigte, wie sehr das Metall mit dem Lebensblut ihrer Beute bedeckt war. Es war eine Jagd gewesen, kein Kampf. Sie hatten rasch und gewaltsam Gerechtigkeit geübt. Es interessierte mich nicht, ob sie zwei oder drei getötet hatten. Ich weinte nicht um den Unschuldigen, der in etwas hineingeraten war, was er nicht verstand. Es war spät, zu spät. Mein Körper schmerzte, und ich hatte Angst, und selbst umgeben von meinen sechs Brüdern war ich allein.
    »Dafür wird Oonagh mit Blut zahlen«, sagte Diarmid mit vor Wut bebender Stimme. Sein Rachedurst war von den Morden nicht gestillt worden. »Ich werde ihr mit diesem Messer die Kehle durchschneiden, wenn es kein anderer tut.«
    »Sie ist verantwortlich dafür, wenn auch nicht direkt«, stimmte Liam zu. »Aber das ist nicht die Zeit. Wir haben getan, was wir tun mussten. Jetzt müssen wir uns um Sorcha kümmern. Sie muss diesen Ort verlassen, und zwar sofort. Wie bald wird sie reisen können, Conor?«
    Sie sprachen über mich, als wäre ich eine Spielfigur in einem ihrer Strategiespiele; eine wichtige, aber immer noch ein Gegenstand, den man so vorteilhaft wie möglich manövrierte. Ich lag da, mit weit aufgerissenen Augen schweigend im Dunkeln.
    In meinem Körper zuckte noch der Schmerz, in meinem Geist wiederholte sich endlos, was man mir angetan hatte. Ich war ganz offenbar nicht imstande, das aufzuhalten, und ich wünschte mir beinahe, ich hätte genug von dem Kräutersud getrunken, um eine Weile schlafen zu können, Alpträume oder nicht.
    Die Stimmen meiner Brüder drifteten näher, entfernten sich wieder. Conor sagte, man sollte mich heute Nacht noch nicht wegbringen. Diarmid war wütend, Liam versuchte Pläne zu machen. Aufblitzen von Schmerz, Erinnerungen an andere Stimmen. Ich hob die Hand, um die Augen zu bedecken, und die Schwielen kratzten auf meiner Haut. Vielleicht war ihre Mutter eine Kröte. Es gab auch noch andere Bilder. Mein zerstörter Garten. Vater Brien, der auf dem Boden lag, in der leeren Hülse seiner selbst. Simon, der im Dunkeln schrie. Oonagh, die mein Haar kämmte, und die Geschöpfe auf ihrem Spiegel. Schmerz und Angst. Ihre Stimmen, wieder und wieder. Hübsches Stück Fleisch, wie? Genau wie ich es mag, jung und saftig. Wie konnten meine Brüder weitersprechen, Pläne schmieden, sich streiten, als wäre ich nicht da?
    »Das ist unmöglich!« schrie Diarmid. »Wir können sie nicht einfach hier lassen! Es muss eine andere Möglichkeit geben!«
    »Es gibt keine andere Möglichkeit«, sagte Conor leise. Er hatte sich von mir abgewandt.
    »Dann lasst uns diese Geschichte ein- für allemal beenden«, meinte Cormack gnadenlos. Er stand auf und trat seinem Zwillingsbruder gegenüber. »Wir können sie nicht allein lassen. Nicht jetzt. Ich sage, wir nutzen die Zeit, die uns noch bleibt, um sie zum nächsten

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