Die Tochter der Wälder
Willkommen zu erwarten. War ich Gefangene, war ich Geisel? War ich Dienerin? Würde man mich bewachen, bis ich ihm schließlich sagte, was er wissen wollte, und man mich freilassen konnte? Oder würden sie andere Mittel finden, um mich zum Sprechen zu bringen, wie meine Familie es mit seinem Bruder getan hatte? Ich fürchtete, dem nicht standhalten zu können. Die Herrin des Waldes hatte dem Roten befohlen, dafür zu sorgen, dass man mir nicht wieder wehtat. Aber ein Brite war nicht imstande, diese andere Welt und ihre Wunder zu akzeptieren; der Rote tat es als einen Traum ab. Er würde nie verstehen, wieso ich tat, was ich tat; es war sehr viel einfacher anzunehmen, dass es sich um eine Art Wahnsinn handelte, eine seltsame Krankheit des Geistes, die mich dazu trieb, mich unvernünftigerweise selbst zu verletzen. Er liebte seinen Bruder vielleicht innig, aber das würde niemals dem gleichkommen, was ich für meine Brüder tat.
Ohne ein sichtbares Zeichen trieben alle drei Männer ihre Pferde zu einem Galopp an, und ich musste mich noch fester anklammern. Wir eilten zwischen den hochgewachsenen, goldenen Pappeln entlang, und Ben stieß einen begeisterten Schrei aus und grinste wild, als der Wind sein blondes Haar wie eine Fahne hinter ihm herwehen ließ. Auch Johns Augen glitzerten vor Erwartung. Und so kamen wir in einen Hof, der so sauber und ordentlich war wie alles andere dort, und blieben vor breiten Steinstufen und einem offenen massiven Eichentor stehen. Man hatte ihnen bereits von unserer Ankunft berichtet, denn eine Gruppe von Menschen stand auf der Treppe und wartete auf uns. Gut ausgebildete Stallburschen erschienen aus dem Nichts, um die müden Pferde wegzuführen, und eine kleine Menschenmenge versammelte sich. Das Erste, was der Rote tat, nachdem er mich vom Pferd gehoben hatte, war, nach seinem eigenen Rucksack zu greifen und dem Knecht ein Zeichen zu geben, ihn unberührt zu lassen. Dann ergriff er mit der freien Hand mein Handgelenk, damit ich ihm folgen musste.
Die Frau, die an der Treppe wartete, sah mich nicht. Sie hatte nur Augen für den Roten.
»Mutter«, sagte er leise.
»Hugh«, sagte sie und legte dabei dieselbe Beherrschung an den Tag, die ich in ihren beiden Söhnen kennen gelernt hatte. Ich wusste, dass es ihr schwer fiel, ihn nicht einfach weinend zu umarmen oder sich auf andere Weise vor allen Leuten aus ihrem Haushalt unangemessen zu verhalten. »Willkommen daheim. Willkommen, Ben und John. Es ist lange her.« In ihren Augen stand eine verzweifelte Frage, die bis später unausgesprochen bleiben würde.
»Willkommen daheim, Sir! Willkommen, Herr.« Viele aus dem Haushalt grüßten Lord Hugh; sie drängten sich um uns, griffen nach seiner Hand. Er setzte den Rucksack ab, ließ mich aber nicht los; ich wäre beinahe erdrückt oder von der Menge mitgerissen worden. Ich erhaschte einen Blick auf Ben, der immer noch breit grinste und von einer ganzen Gruppe hübscher Mädchen umzingelt war. Ein Stück weiter entfernt sah ich John mit einer kleinen, blonden Frau, die ein paar Jahre jünger war als er. Sie war hochschwanger; ich nahm an, dass sie kaum mehr als drei Monde von der Geburt entfernt war. Seine Frau. Sie klammerte sich an seinen Arm, und er sah sie an, als gäbe es außer ihr keine Welt für ihn. Ich dachte, auch er legt dieselbe Beherrschung an den Tag. Wie musste er sich danach gesehnt haben, nach Hause zurückzukehren, wie musste es sein Herz zerrissen haben, all diese langen Monde auf der anderen Seite der See! Und dennoch war er dem Roten ohne Frage gefolgt. Diese Männer waren auf eine Weise loyal, die ich kaum begreifen konnte.
Erst als wir uns von diesem freudigen, schmerzlichen Willkommen losrissen und nach drinnen zurückzogen, fiel ich der Dame auf. Ein Diener wurde nach Wein geschickt; wir gingen alle in eine große Halle im Haus. Die Dame setzte sich auf eine Bank nahe der Feuerstelle und winkte ihren Sohn zu sich. Es waren auch andere Mitglieder des Haushalts anwesend, aber in diskreter Entfernung. Unsere Reisebegleiter waren verschwunden. Auf jeden, nahm ich an, wartete sein eigenes Willkommen. Also setzte der Rote sich zu seiner Mutter und streckte mit einiger Vorsicht sein verletztes Bein aus. Der lange Ritt war so ungefähr das Letzte gewesen, was es zu einer guten Heilung brauchte. Und ich stand neben seinem Stuhl und fühlte mich in diesem Kreis neugieriger Blicke ganz allein. Er hielt mich immer noch am Handgelenk, so dass ich mich nicht bewegen konnte.
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