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Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
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John und Ben, Margery gegenüber. Das bedeutete auch, dass ich nicht hören musste, was weiter oben gesagt wurde. Die drei hielten ein lebhaftes Gespräch über diverse Themen vom Wintermarkt in Elvington über das beste Holz für Möbel bis zu den Vorzügen der neuen Zuchtsau des Roten im Gang. Es gelang ihnen, mich dabei einzuschließen, und eine ganze Reihe phantasievoller Ausdrücke und Gesten wurde benutzt, was in unserer kleinen Gruppe eine gewisse Heiterkeit erzeugte. Ein- oder zweimal blickte ich den Tisch entlang und bemerkte, dass der Rote uns ansah, weder zustimmend noch ablehnend, einfach nur fragend. Er verbrachte viel Zeit damit, sich mit Elaine zu unterhalten. Sie passten zueinander, dachte ich. Freunde seit der Kindheit, kannten sie ihren Platz in der Welt und würden gut zusammenarbeiten, um zu behalten, was sie hatten. Sie hatte mich beeindruckt mit diesem Versuch, sich gegen ihren Vater zu wehren. Aber ich erinnerte mich an Liams und Eilis' Mienen am Abend ihrer Verlobung; wie sie einander in die Augen gesehen hatten, als gäbe es für sie niemand anderen auf der Welt. So etwas hatte ich beim Roten nicht gesehen, und auch nicht bei Elaine. Vielleicht war das bei den Briten so, dachte ich. Man zeigte seine Empfindungen nicht. Aber es gab Ausnahmen, dachte ich dann, als ich Margery beobachtete, wie sie mit ihrem Mann scherzte, oder John, wenn er ihr einen Teller mit Brot reichte und sie nach einem Stück griff und dabei seine Hand berührte. Es gab auch Briten, deren Liebe in jeder Geste sichtbar wurde und die dadurch von allen, die sie kannten, geteilt wurde.
    Ich schlief schlecht; die Dämonen der Nacht waren stark, schlugen selbst im Schlaf nach mir, und es war eine Erleichterung, zu erwachen und durch mein rundes Fenster die ersten Spuren der Morgendämmerung am Himmel zu sehen. Ich wusch mich und zog einen Umhang über mein Nachthemd, denn die Mauern beengten mich und ich brauchte unbedingt frische Luft. Ich entriegelte die Tür nach außen und ging leise in den Garten, barfuß auf den kalten Steinen des Weges. Alys folgte mir ein wenig zögernd und steif. Es würde ein schöner, klarer Tag werden; ich konnte immer noch die Sterne am langsam heller werdenden Himmel sehen, dessen Purpur zu Rosa wurde, was wiederum dem ersten Hauch von Dämmerungsgold wich.
    Alys knurrte leise, als wir zum Ende des Gartens kamen. Auf der Bank an der Mauer lag der Rote und schlief. Die Bank war kaum groß genug für ihn; er hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt, ein Bein war auf der Bank ausgestreckt, das andere zur Seite. Ihm würden alle Knochen wehtun, wenn er erwachte. Er hatte sein Schwert und das kleine Messer im Stiefel, aber im Augenblick hätte jeder, der hier vorbeikam, ihn töten können. Ich stand still da, während die Dämmerung sein Gesicht mit rosigem Licht berührte, über die gerade Nase und die ausgeprägten Züge und den breiten, entspannten Mund fiel. Das könnte einigen gefallen, dachte ich.
    Es dauerte nicht lange, bis er erwachte. Es geschah in einer einzigen, glatten Bewegung, schmerzende Knochen oder nicht – er sprang sofort auf und hatte die Hand am Schwertgriff. Alys kläffte erschrocken, dann erkannte der Rote uns, setzte sich wieder hin und kratzte sich ruhig den Kopf.
    »Auf dem Posten eingeschlafen. Das ist wirklich nicht gut«, meinte er blinzelnd. »Ich muss müder gewesen sein, als ich dachte. Gestern war nicht gerade der beste Tag.«
    Ich nickte. Das war untertrieben. Nun sah er mich richtig an, eindringlich.
    »Du siehst schrecklich aus«, sagte er.
    Danke. Meine Miene musste ihm gesagt haben, wie ich empfand.
    »Und du hast bestimmt eiskalte Füße. Setz dich her.« Ich setzte mich, zog die Füße unter mich auf die Bank und den Umhang um mich. Es war tatsächlich kalt auf dem Steinweg, aber es war eine gute Kälte gewesen, jene Winterkälte, die einen Garten schlafen lässt, damit er vom Wachstum im Frühling träumen kann.
    »Du hast nicht geschlafen«, sagte der Rote und streckte die Hand nach meinem Gesicht aus. Ich wich zurück, und er senkte die Hand wieder, ohne mich berührt zu haben. »Du hast tiefe Schatten unter den Augen, und du bist kreidebleich. Es tut mir Leid, was gestern geschehen ist. Sie reisen heute früh wieder ab. Ich wollte nicht, dass er dir Angst macht.«
    Was ich sagen wollte, konnte ich mit Gesten nicht ausdrücken. Du warst keine große Hilfe. Warum hast du ihn nicht früher aufgehalten? Mir fiel nicht ein, wie ich ihm das mitteilen konnte.

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