Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tochter der Wälder

Die Tochter der Wälder

Titel: Die Tochter der Wälder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliet Marillier
Vom Netzwerk:
mir zu weinen, nur ein wenig. Ich gestatte mir, zu dem Fenster hinaufzustarren, wo der Regen schräg fiel und ein kalter Wind hereindrang, und ich dachte, wenn der Rote hier wäre, würde er dich töten. Aber es war gut, dass er nicht hier war. Wenn er hier wäre, würde er sich einer Wahl gegenüberfinden, die ihn zerbrechen würde. Es wäre besser, wenn er nicht zurückkehrte, erst nachdem … aber ich hatte Angst. Ich hatte Angst zu sterben, ich hatte Angst vor dem Feuer. Ich hatte Angst, dass ich zu langsam arbeitete, dass ich nicht rechtzeitig fertig sein würde … ich weinte nicht lange. Die leise Stimme war die ganze Zeit zu hören. Spinne. Webe. Nähe. Ich arbeitete weiter, und das halbfertige Hemd, das Letzte von sechsen, war fleckig vom Blut meiner Hände, vom Dreck aus der Zelle, und feucht von meinen Tränen. Wer immer dieses Kleidungsstück tragen würde, würde meine Liebe, meinen Schmerz und meinen Schrecken tragen. Diese Dinge würden ihn befreien.
    Ich kann mich an einen guten Augenblick in diesen finsteren Zeiten erinnern. Ich hatte mich an meine Wachen gewöhnt. Ich kannte ihre Namen nicht, aber es gab einen älteren Mann, den ich zuvor mit Ben gesehen hatte. Er kam nicht oft, und wenn, dann war ihm deutlich anzusehen, wie widerwärtig er die schmutzige dunkle Zelle und die Pflicht, die man ihm aufgetragen hatte, fand. An einem Tag brachte er mir den Eimer und warf ihn in die Ecke wie üblich, und dann holte er ein kleines Päckchen aus der Tasche und ließ es verstohlen in meinen Korb fallen.
    »Kopf hoch, Mädchen«, murmelte er, und dann fiel die schwere Tür wieder hinter ihm zu. In dem kleinen Päckchen war gutes, frisches Brot mit Körnern darin und ein kleines Stück Käse und eine Hand voll Brombeeren. Ich hob es lange auf und wusste, dass mein Magen nach so langer Zeit des Hungers nicht damit zurechtkommen würde. Ich teilte die Krümel von Brot und Käse mit den Ratten, weil ich dachte, sie sollten auch ein wenig Freude haben. Danach sah ich diesen Mann nicht wieder, aber die Freundlichkeit hatte mich gewärmt. Ich erinnere mich immer noch an den wunderbaren Geschmack dieses Essens, an die Reife des Käses, an die saftigen Beeren, das Brot mit seinem Geruch nach Feldern. Ich erinnere mich an jeden Bissen.
    Das Hemd wuchs. Es war überraschend, wie viel ich tun konnte, wenn ich den Schmerz vergaß, wenn ich nur schlief, wenn vollkommene Erschöpfung es forderte, wenn ich mit und ohne Licht arbeitete. Das Hemd nahm Formen an, während ein Tag dem anderen folgte und eine Nacht der nächsten schlaflosen Nacht. Nun roch der Wind, der durch mein kleines Fenster drang, nach Herbst. Laub wurde verbrannt. Obst wurde eingekocht. Flussnebel stieg früh am Morgen auf. Es gab auch Geräusche. Männer, die Erntewagen abluden. Es war Erntezeit, und ich war nun fast ein ganzes Jahr in Harrowfield. Frauen, die sich stritten. Wagenräder auf dem Kiespfad. Eines Morgens ein einzelner Reiter, der sehr früh davonritt. Es hatte alles wenig Bedeutung. Es schien, dass der Haushalt nun, nachdem ich eingeschlossen war, zu seiner friedlichen, alten Routine zurückgekehrt war. Als hätte es mich nie gegeben. Denn ich hatte seit jenem Besuch von Lady Anne niemanden gesehen, niemanden außer meinen Wachen und Lord Richard. Vielleicht hatten sie mich vergessen.
    Das Warten konnte nicht ewig dauern. Es kam ein Tag, an dem ich vom Hof her Hufschlag, klirrendes Zaumzeug und Männerstimmen hörte. Und als Richard an diesem Nachmittag wiederkam, war es, um mir seinen Triumph zu zeigen. Der Vertreter des Bischofs war endlich eingetroffen, und es war Zeit, mich dem Verfahren zu stellen. Das würde morgen beginnen, und dann … Richard war entzückt, beinahe außer sich vor Freude. Ich dachte, wieso hasst er seinen Neffen so sehr? Das war schließlich alles, worum es ging. Das Gefühl der Macht erregte ihn, das war nicht von der Hand zu weisen, aber es war ein besonderes Glitzern in seinem Blick, wenn er den Namen des Roten aussprach, das meiner Meinung nach an Wahnsinn grenzte. Er machte an diesem Tag einen Fehler. Getragen von der Woge des vorweggenommenen Sieges verriet er zu viel.
    »Reden wir über Feuer.« Mit halb geschlossenen Augen sah er zu, wie ich das Hemd ungeschickt säumte. Manchmal wurden meine Finger taub, und es war schwer, sie dazu zu bringen, mir noch zu gehorchen. »Wenn man das richtige Material hat, kann man mit Feuer interessante Dinge tun. Du wärest überrascht, von wem ich das gelernt habe. Dein

Weitere Kostenlose Bücher