Die Tochter der Wälder
fort, »als sie hungrig war, schmutzig und gefroren hat? Habt Ihr auf sie aufgepasst, als sie schweigend vor ihren Anklägern stand, als sie sich den Dreck anhören musste, den man über sie erzählte, die Lügen? Wart Ihr da, als sie im Dunkeln weinte, als sie wartete und zusah, wie Euer Onkel ihren Scheiterhaufen errichtete? Was für eine Art Mann seid Ihr eigentlich?«
Kurzes Schweigen, dann fragte der Rote leise: »Seid Ihr fertig?«
»Fragt ihn«, drängte Liam in unserer eigenen Sprache, »frag ihn, was für eine Art Ehe das ist; frag ihn, ob er seine dreckigen Barbarenhände an meine Schwester gelegt hat. Frag ihn das!«
»Sagt mir einfach«, wollte Conor wissen, »ob meine Schwester frei ist, mit uns zu kommen. Habt Ihr vor, sie an irgendein Versprechen, an eine Verpflichtung Euch gegenüber zu binden?«
»Kann man ein wildes Geschöpf gefangen halten, nachdem es geheilt und bereit ist, nach Hause zu fliegen?« fragte der Rote. »Jenny trifft ihre eigene Wahl. Sie weiß, sie ist frei zu gehen. Sie weiß, sie muss es mir nur sagen, wenn es an der Zeit ist.«
Conor sprach leise mit seinen Brüdern.
»Was ist mit unserem sicheren Geleit?« wollte Liam wissen. »Ich will im Morgengrauen oder eher noch hier losreiten. Wir haben nur noch wenig Zeit.«
Die Antwort des Roten kam noch leiser. Ich hatte diesen Tonfall schon öfter gehört.
»Zuerst werde ich mit meiner Frau sprechen. Dann machen wir uns auf den Weg. Es wird nicht lange dauern.«
Conor berichtete das den anderen.
»Kommt nicht in Frage!« fauchte Diarmid.
»Allein? Das denke ich nicht«, meinte Liam grimmig.
»Wofür hält sich dieser Mann?« wollte Cormack wissen. »Er hat keinen Anspruch auf Sorcha, und er weiß es. Sag ihm, er soll die Pferde bringen, und wir machen uns auf den Weg. Wir brauchen hier nicht mehr zu verhandeln.«
»Wir können das nicht gestatten«, erklärte Conor ernst. »Ihr versteht, dass wir uns nach allem, was geschehen ist, um das Wohlergehen unserer Schwester sorgen. Wir werden sie nicht aus den Augen lassen, bis wir uns wieder in unserer Heimat befinden. Es ist drei Jahre her, seit wir zum letzten Mal Menschengestalt hatten. Es waren drei Jahre des Schweigens und des Leidens für sie. Jetzt ist sie zu uns zurückgekehrt, und wir werden uns nicht von ihr trennen und ihre Sicherheit nicht aufs Spiel setzen, keinen Augenblick lang.«
Der Rote kniff die Lippen in einer beunruhigend vertrauten Weise zusammen, und ich sah, wie Bens Hand sich dem Dolchgriff näherte.
»Das hier ist mein Haus«, erklärte der Rote. »Ihr wollt es verlassen, nicht wahr? Mit Pferden und einem gewissen Maß an Schutz? Das werde ich Euch stellen; aber zuerst werde ich mit Jenny allein sprechen.«
»Eure Arroganz verblüfft mich«, erklärte Conor kühl. »Es waren Eure Leute, die meine Schwester zum Tode verurteilt haben, es waren Eure Leute, die ihren Angelegenheiten nachgingen, während Sorcha im Dunkeln eingeschlossen war, während Läuse in ihrem Haar herumkrochen und Ratten sich vom Dreck ihrer Zelle ernährten, während sie weinte und arbeitete und auf das Ende wartete. Wie könnt Ihr es wagen, etwas von uns zu fordern?«
Der Rote war sehr bleich, aber er war entschlossen, weiterzusprechen. »Für wen hat sie gearbeitet, für wen hat sie geschwiegen all diese drei Jahre, für wen hat sie ihr Lachen erstickt, ihre Tränen und ihre Schmerzensschreie? Ihr habt einfach akzeptiert, was sie für euch getan hat. Ihr seid ebenso schuldig wie ich, ihr alle.« Er stützte sich jetzt auf Bens Arm; er packte ihn fest, seine Hand war an den Knöcheln weiß.
Es war, als hätten sie vergessen, dass ich überhaupt da war.
»Conor«, sagte ich.
»Was ist?« fauchte mein Bruder in einer Weise, wie ich es nie zuvor von ihm gehört hatte.
»Das hier ist meine Entscheidung«, sagte ich leise. »Ich werde sicher sein. Ich werde nicht weit gehen; nur bis hinter die Tür.«
Und ich ging nach draußen, den Blick geradeaus gerichtet. Niemand versuchte mich aufzuhalten. Vor dem Zimmer standen zwei Männer Wache. Die Türen schlossen sich hinter mir.
»Ihr könnt gehen«, sagte der Rote zu den Wachen. Ben war drinnen geblieben; eine Geste, die unter diesen Umständen Mut erforderte.
Wir waren allein. Ich blieb, wo ich war, an der Tür. Er war ganz nah, lehnte sich an die Wand. In seine Augen zu schauen, kostete meine ganze Kraft. Sie waren kalt, sein Gesicht so leer wie ein unbeschriebenes Pergament.
»Es sieht aus, als hätte ich meinen Zweck
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