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Die Tochter der Wanderhure

Titel: Die Tochter der Wanderhure Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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und Michels Seite ziehen wollte.Sollte gar nichts mehr helfen, so würde sie notfalls nach Ansbach reiten und den Markgrafen Albrecht Achilles von Brandenburg um Hilfe bitten. Jetzt aber nahm sie ihre mutige Tochter in die Arme und flüsterte ihr ins Ohr, wie stolz sie auf sie war.

DRITTER TEIL
     
Die Hochzeit auf Fuchsheim

1.
    O tto von Henneberg saß auf einem Lehnstuhl vor dem Haus, nur notdürftig mit einer zwischen zwei Stangen gespannten Decke vor der Sonne geschützt, und zerfraß sich vor Wut und Scham. Ein Weibsstück, ein Mädchen, das noch nicht trocken hinter den Ohren war, hatte ihn vor allen Leuten lächerlich gemacht. Zwischen Ausbrüchen von Hass suhlte er sich in Selbstmitleid und wünschte sich, der Dolch hätte seine Augen getroffen, damit er die spöttischen Blickwechsel der Knechte und die verächtliche Miene der Äbtissin nicht mehr sehen müsste.
    Die ehrwürdige Mutter Klara von Monheim hatte sich sofort nach der Nachricht von der unglücklich verlaufenen Strafaktion gegen die Kibitzsteiner in einer Sänfte zum Wirtschaftshof bringen lassen und sah nun dem aus der Stadt Volkach gerufenen Wundarzt zu. Obwohl sie kaum etwas von der Behandlung von Wunden verstand, musste sie dem Mann eine geschickte und ruhige Hand zugestehen. Nachdem er Junker Ottos Wunde gesäubert hatte, nähte er nun die klaffenden Ränder mit einer kleinen, gebogenen Nadel und einem dünnen Seidenfaden zusammen. Dabei machte er seinem Patienten immer wieder Vorhaltungen, weil dieser bei jedem Stich aufstöhnte und sich unruhig bewegte.
    »Seid Ihr ein Mann oder eine Memme?«, fragte er den Junker, als dieser wieder einmal das Gesicht wegdrehen wollte.
    Otto von Henneberg biss die Zähne zusammen und umkrampfte mit den Händen die Armlehnen seines Stuhls. Der Schmerz, den sein verletzter Stolz ihm bereitete, war schlimmer als der, der in seiner Wunde tobte, und dieser erschien ihm bereits unerträglich. Daher forderte er den Chirurgen auf, rascher zu arbeiten.
    »Bin ich ein Stück Tuch, das du zu einem Gewand zusammennähen musst? Beim Teufel noch mal, wie lange dauert das noch?«
    »Bis ich fertig bin«, antwortete der Wundarzt ruhig, »und so lange solltet Ihr durchhalten, edler Herr. Oder wollt Ihr mit einer Kluft im Gesicht herumlaufen, in die man den Finger eines erwachsenen Mannes legen kann?«
    »Ich werde schrecklich aussehen, nicht wahr?« Graf Otto kämpfte nicht einmal gegen die Tränen an, die in ihm aufstiegen. Bis zu diesem Tag hatte er als ausnehmend hübscher Jüngling gegolten, aber von nun an würden sich Frauen und Kinder vor seinem Anblick fürchten, und das war einzig und allein die Schuld jenes Weibsteufels.
    Etwas in ihm flüsterte ihm zu, er sei selbst schuld, weil er nicht genügend achtgegeben hätte. Schließlich habe sich die Kleine ja nur gewehrt. Diesen Gedanken vertrieb Otto rasch wieder und steigerte sich weiter in seinen Hass gegen jenes Mädchen hinein, das ihn so schrecklich gezeichnet hatte. Der Schnitt ging quer über die linke Gesichtshälfte und hatte auch seine Nase und einen Teil der rechten Wange aufgeschlitzt.
    »Ich werde für immer entstellt sein!«, wiederholte er hartnäckig. Der Arzt lachte auf. »Seid froh, dass Euch nicht mehr passiert ist. Der Schnitt ist zwar lang, aber nicht besonders tief. Einen Zoll höher, und er hätte Euch das linke Auge gekostet. So aber wird, wenn die Wunde gut verheilt, selbst auf Eurer Nase nur eine leichte Kerbe zurückbleiben. Damit werdet Ihr wie ein kriegserfahrener Mann aussehen und für die Damen interessant werden.«
    Der Arzt hatte gehofft, seinen Patienten mit diesen Worten aufzumuntern, doch Graf Otto stöhnte wie ein krankes Pferd. »Diese Narbe ist ein Narrenzeichen, das ich mir selbst zuzuschreiben habe!«
    Da der Arzt nicht in die näheren Umstände der Verletzung eingeweiht war, hüstelte die Äbtissin mahnend. »Ihr solltet nicht so viel sprechen, Graf Otto. Es erschöpft Euch und erschwert diesem wackeren Mann die Arbeit.«
    »Da habt Ihr recht, ehrwürdige Mutter. Aber seid unbesorgt. Diese Verletzung ist eher harmlos, verglichen mit so mancher Wunde, die ich schon behandeln musste.«
    Graf Otto war kurz davor, den Arzt zu ohrfeigen. Begriff dieser rohe Kerl nicht, welche Katastrophe die Wunde für ihn darstellte? War sie doch der sichtbare Beweis dafür, dass er bei seiner ersten Bewährungsprobe im ehrenvollen Amt des Stiftsvogts versagt hatte. Er mochte sich gar nicht vorstellen, wie Magnus das Ganze kommentieren würde.

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