Die Tochter der Wanderhure
Auch die Äbtissin würde ihm, ihrer grimmigen Miene nach zu urteilen, diese Niederlage nicht so schnell verzeihen. Er sah sich schon mit Schimpf und Schande davongejagt und wie einen geprügelten Hund zu seinem Bruder zurückkehren.
Nein, nicht zu Magnus und Elisabeth, fuhr es ihm durch den Kopf. Deren Vorhaltungen wollte er sich nun doch nicht aussetzen. Am besten wäre es, seinem Freund Peter von Eichenloh zu folgen. Der würde ihn zwar auch auslachen, ihn aber wenigstens nicht wie einen unmündigen Knaben behandeln.
»So, gleich bin ich fertig. Gute Arbeit, wenn ich mich selbst loben darf, und ihres Lohnes wert.« Der Arzt setzte die beiden letzten Stiche und blickte anschließend mit einem Ausdruck des Stolzes auf die saubere Naht, die sich quer über das Gesicht seines Patienten zog. Die Wunde blutete nicht mehr und würde bei guter Behandlung rasch verheilen.
»Ich lasse Euch eine Essenz da, die die Wundheilung fördern wird. Sie brennt zwar wie Höllenfeuer, aber da Ihr sicher nicht mit einem Gesicht wie eine zernarbte Föhre herumlaufen wollt, müsst Ihr es ertragen. Die Tinktur ist allerdings nicht billig.« Der Arzt klopfte damit auf den Busch, denn die frommen Frauen von Hilgertshausen waren zwar rasch bei der Hand, wenn es darum ging, die Spenden von Gläubigen entgegenzunehmen, aber sie gaben nur ungern etwas her.
»Du wirst deinen Lohn erhalten!« Die Äbtissin nestelte den anihrem Gürtel hängenden Beutel los und zählte dem Arzt mehrere Münzen ab.
»Hier, das dürfte wohl reichen.«
»Für die Naht, ja, und auch das halbe Fläschchen Wundtinktur, die ich Euch überlasse. Der junge Herr wird aber mehr von diesem Mittel brauchen. Wenn Ihr mir das Geld dafür gebt, kann ich es durch einen Boten von Volkach bringen lassen.«
Die Äbtissin zögerte kurz und schüttelte dann den Kopf. »Ich werde morgen einen Knecht nach Volkach schicken. Du kannst ihm die Essenz mitgeben. Was ist es eigentlich?«
Aus ihren Worten sprach ein gewisses Misstrauen, es könne sich um ein Mittel handeln, das nicht nach den Regeln der heiligen Kirche hergestellt worden war.
»Es handelt sich um den Auszug verschiedener heilender Kräuter, die ich selbst destilliert habe. Man kann ihn sogar trinken«, erklärte der Wundarzt.
Kaum hatte er dies gesagt, forderte die Äbtissin einen Knecht auf, ihr einen Becher zu bringen, und streckte diesen auffordernd dem Chirurgen hin. Der Arzt maß eine so kleine Menge ab, dass sie verwundert die Augenbrauen hob.
»Du brauchst nicht so sparsam zu sein. Ich werde morgen früh neue Tinktur für den Junker holen lassen.«
»Trinkt lieber erst einmal. Es ist ein starkes Gebräu, und, im Vertrauen gesagt, es beißt ganz schön in der Kehle.« Der Wundarzt trat einen Schritt zurück und sah gespannt zu, wie die Äbtissin an ihrem Becher nippte. Ihre Augen weiteten sich, als ihr der Trank brennend über die Zunge rann, und sie keuchte erschrocken auf. Dann schluckte sie das Gebräu mit schierer Todesverachtung hinunter.
»Das schmeckt so entsetzlich, als bekäme man Höllenfeuer in den Schlund«, begann sie. Dann aber legte sie die Hand auf ihren Bauch. »Doch es tut gut. Ich hatte bereits Magenschmerzen vor Ärger, und die vergehen jetzt wie durch ein Wunder. Duwirst meinem Boten morgen auch eine Flasche für meinen Gebrauch mitgeben, verstanden!«
Der Wundarzt nickte eifrig. Die Herstellung des Tranks kostete ihn wenig, und er konnte ihn teuer verkaufen. Die meisten seiner Kunden verwendeten ihn nur vorgeblich, um irgendwelche Leiden zu kurieren, denn sie schätzten ihn, weil er ihnen schmeckte und angenehm zu Kopf stieg.
Auch die Äbtissin genoss die Wirkung der Kräuteressenz. Eine wohlige Wärme breitete sich in ihrem Magen aus, und das Versagen ihres Vogts erschien ihr nicht mehr so schwerwiegend wie noch vor ein paar Augenblicken. Dennoch dachte sie nicht daran, Graf Otto ungeschoren davonkommen zu lassen.
Klara von Monheim wartete, bis der Wundarzt seine Instrumente eingepackt hatte und einem der Knechte folgte, der ihm eine Brotzeit vorsetzen sollte, dann wandte sie sich an Henneberg. »Da habt Ihr mir ja ein tolles Stück geliefert! Welcher Teufel hat Euch geritten, der Tochter des Kibitzsteiners Gewalt antun zu wollen? Ihr solltet diese Leute von unseren Weinbergen fernhalten, aber keine Blutfehde vom Zaun brechen!«
Graf Otto stöhnte vor Schmerz und Ärger auf. »Woher hätte ich wissen sollen, dass es sich bei dem Mädchen um Michel Adlers Tochter gehandelt
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