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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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trinken und jene Affären zu haben, mit diesem schäbigen Makler am Strand und dann mit anderen. Er hatte versucht, es zu ignorieren, es ihr zu verzeihen, denn er wußte, daß es in gewisser Weise seine eigene Schuld war. Er schoß ein Foto nach dem anderen, als könne er den Moment, als er sich umgedreht und Caroline Gill seine Tochter übergeben hatte, |360| festhalten oder ein Bild machen, das mächtig genug war, ihn zu verschleiern.
    Seine Stimme hob und senkte sich. Einmal angefangen, gab es kein Halten mehr, sowenig wie er den Regen, den Fluß, der den Berg hinunterströmte, oder die Fische, die wie die Erinnerung unter der Eisdecke unermüdlich und flüchtig mit dem Strom schwammen, hätte aufhalten können. »Körper in Bewegung«, dachte er an die alte Physikweisheit aus Highschoolzeiten. Er hatte seine Tochter Caroline Gill gegeben, und das hatte ihn schließlich hierhergeführt, Jahre später, zu diesem Mädchen, das alles mit sich selbst ausmachte. Die sich zu einem
Ja
entschieden hatte in einem kurzen erlösenden Moment auf dem Rücksitz eines Autos oder im Hinterzimmer eines ruhigen Hauses, dieses Mädchen, das danach aufgestanden war, ihre Kleider gerichtet hatte, ohne zu wissen, wie sehr dieser Moment bereits ihr Leben prägte.
    Sie schnitt weiter und hörte zu. Ihr Schweigen gab ihm ein Gefühl von Freiheit. Er redete wie ein Wasserfall, wie ein Sturm, und die Worte rauschten mit einer Kraft und Energie durch das alte Haus, gegen die er nicht ankam. Irgendwann fing er wieder zu weinen an, auch seine Tränen konnte er nicht zurückhalten. Rosemary sagte zu alledem nichts. Er redete, bis die Worte langsamer hervorkamen, abebbten und schließlich versiegten.
    Stille breitete sich aus.
    Sie sagte nichts. Die Schere funkelte, und das halb beschnittene Papier glitt vom Tisch, als sie aufstand. Er schloß die Augen, und Angst stieg in ihm auf, denn in ihren Augen sah er Zorn. Alles, was passiert war, war seine Schuld gewesen.
    Er hörte ihre Schritte, und dann streifte das Metall über seine Haut, kalt und klar wie Eis.
    Die Spannung an seinen Handgelenken ließ nach. Er öffnete die Augen und sah sie zurückschreiten, mit klugen und wachen Augen fixierte sie ihn, die Schere funkelte.
    »Okay«, sagte sie. »Du bist frei.«

|361| 17. Kapitel
    April 1982
    P AUL«, RIEF SIE, UND IHRE ABSÄTZE HINTERLIESSEN ein scharfes Stakkato auf der gebohnerten Treppe. Dann stand sie in der Tür, schmal und elegant im dunkelblauen Kostüm mit engem Rock und Schulterpolstern. Durch halbgeöffnete Augen sah Paul, was auch sie sah: den Boden voller umherliegender Anziehsachen, ein Meer aus Schallplatten und Notenblättern und seine alte Gitarre, die in der Ecke stand. Sie schüttelte den Kopf und seufzte. »Steh auf Paul. Und bitte sofort.«
    »Bin krank«, murmelte er, verlieh seiner Stimme einen heiseren Klang und zog sich die Bettdecke über den Kopf. Durch den dünnen Stoff der Sommerdecke konnte er sie immer noch erkennen, die Hände in die Hüften gestützt. Das frühmorgendliche Licht in ihrem Haar, das – am Vortag noch frisch gestylt – rot und golden funkelte. Er hatte mitbekommen, wie sie mit Bree telefoniert und ihr beschrieben hatte, wie die einzelnen Strähnen in Alufolie gewickelt und gefärbt worden waren. Sie hatte mit leiser Stimme gesprochen, währenddessen Rindfleisch angebraten, und ihre Augen waren noch gerötet gewesen, da sie vorher geweint hatte. Seit drei Tagen war sein Vater verschwunden, und niemand wußte, ob er noch am Leben war.
    Und dann war sein Vater letzte Nacht nach Hause gekommen, war durch die Tür gegangen, als wäre er nie fort gewesen, und ihre stundenlange Auseinandersetzung war zu ihm hochgedrungen.
    »Hör zu«, sagte sie nun und schielte auf ihre Uhr. »Ich weiß, daß du nicht krank bist – nicht kränker als ich jedenfalls. |362| Ich würde auch gerne den ganzen Tag schlafen, weiß Gott. Aber ich kann nicht, genausowenig wie du es kannst. Also mach, daß du aus dem Bett rauskommst, und zieh dich an. Ich setz dich dann an der Schule ab.«
    »Mein Hals brennt wie Feuer«, beharrte er mit möglichst heiserer Stimme.
    Sie zögerte, schloß ihre Augen und seufzte wieder, so daß er wußte, daß er gewonnen hatte.
    »Wenn du zu Hause bleiben willst, dann bleib
zu Hause
«, warnte sie ihn. »Du wirst nicht mit deiner Viererbande rumhängen. Und, hör mir zu, das Schreiben an Cornell muß heute unbedingt in die Post. Außerdem könntest du mal diesen Schweinestall aufräumen. Ich

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