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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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tagelang ohne ein einziges Wort verschwinden und plötzlich mit einer schwangeren Fremden hier wieder auftauchen. Mein Gott, |367| David, was hast du dir eigentlich dabei gedacht? Wir haben die Polizei gerufen. Wir alle dachten, du seist tot.«
    »Vielleicht war ich das auch«, sagte er, und die Absonderlichkeit seiner Antwort bändigte die Proteste seiner Mutter, die daraufhin Paul auf der Treppe fixierte.
    Und nun schlief sie, unbeirrt, und in ihr wuchs das Baby in einem dunklen Meer. Paul streckte die Hand aus und berührte sanft ihr Haar, dann zog er sie zurück. Plötzlich hatte er das Verlangen, zu ihr ins Bett zu steigen, sie in seinen Armen zu halten. Es war jedoch nicht wie bei Lauren – es hatte nichts Sexuelles –, er wollte sie nur spüren, ihre Haut und ihre Wärme. Er wollte neben ihr aufwachen, seine Hand über die aufkommende Rundung ihres Bauches wandern lassen, ihr Gesicht berühren und ihre Hand halten.
    Er wollte herausfinden, was sie über seinen Vater wußte.
    Ihre Augen blinzelten, und einen Moment lang sah sie ihn an, ohne ihn wahrzunehmen. Dann richtete sie sich hastig auf und ging sich mit den Fingern durchs Haar. Sie trug eines seiner alten verwaschenen T-Shirts: ein blaues mit dem Kentucky-Wildcats-Logo auf der Brust, das er vor ein paar Jahren im Leichtathletikverein getragen hatte. Sie hatte lange und magere Arme, und er schielte kurz auf ihren Unterarm, der wie die Linie ihrer Brüste sanft geschwungen und mit feinen Härchen übersät war.
    »Wo siehst du hin?« Sie schwang ihre Füße auf den Boden.
    Er schüttelte den Kopf, war unfähig zu sprechen.
    »Du bist Paul«, sagte sie. »Dein Vater hat mir von dir erzählt.«
    »Hat er das?« fragte er und haßte sich für den Eifer in seiner Stimme. »Was hat er gesagt?«
    Sie zuckte mit den Schultern, klemmte sich die Haare hinter die Ohren und stand auf. »Laß mich überlegen. Du bist dickköpfig. Du haßt ihn. Du bist ein begnadeter Gitarrist.«
    Paul spürte, wie ihm das Blut in den Kopf schoß. Es kam ihm immer so vor, als ob sein Vater ihn gar nicht wahrnahm oder nur dann, wenn er ihn enttäuschte.
    |368| »Nicht ich hasse ihn«, sagte er. »Es ist andersrum.«
    Sie beugte sich herab, um die Bettwäsche zusammenzusuchen, setzte sich dann und schaute sich um.
    »Schön hier«, sagte sie. »Irgendwann werde ich auch einmal ein so schönes Haus haben.«
    Paul lachte nervös. »Du bist schwanger.« Im Raum schwebte seine Angst, diese Angst, die immer aufkam, wenn er zitternd durch die Garage zu Lauren Lobeglia schritt, von der unwiderstehlichen Kraft seiner Begierde getrieben.
    »Ja und? Ich bin schwanger. Nicht tot.«
    Sie sagte das herausfordernd, und doch klang sie ängstlich, so wie Paul sich manches Mal fühlte, wenn er mitten in der Nacht aufwachte, weil er von Lauren geträumt hatte, die ihm warm und weich leise etwas ins Ohr geflüstert hatte; dann wußte er, daß er niemals von ihr lassen würde, obwohl sie in die Katastrophe schlitterten.
    »Genausogut könntest du es sein.«
    Mit scharfem Blick sah sie zu ihm auf, Tränen in den Augen, als hätte er sie geschlagen.
    »Es tut mir leid. Das war nur so dahergesagt.«
    Doch sie weinte weiter.
    »Was machst du hier überhaupt?« fragte er und ärgerte sich über ihre Tränen, über ihre Anwesenheit. »Für wen hältst du dich eigentlich, einfach meinem Vater hinterherzulaufen und hier aufzutauchen?«
    »Ich halte mich für niemanden«, sagte sie, doch sein Ton hatte sie aufgeweckt, und sie trocknete ihre Tränen. Sie klang rauher, ging nun auf Distanz. »Und ich habe niemanden darum gebeten, mich mitzunehmen. Es war die Idee deines Vaters.«
    »Das ist doch Quatsch. Warum sollte er das tun?«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Was weiß ich? Ich habe in dem alten Haus gelebt, wo er aufgewachsen ist, und er sagte mir, ich dürfe da nicht mehr bleiben. Es gehört schließlich ihm, oder nicht? Was sollte ich also darauf sagen? Am Morgen |369| sind wir in die Stadt gegangen, und er hat Fahrkarten für den Bus gekauft – so sind wir hergekommen. Der Bus war unglaublich lahm. Es hat ewig gedauert mit diesen ganzen bescheuerten Anschlüssen.«
    Sie streifte ihre langen Haare nach hinten und band sie zu einem Pferdeschwanz zusammen, Paul sah ihr dabei zu, und ihm fiel auf, was für schöne Ohren sie hatte. Er fragte sich, ob auch seinem Vater auffiel, daß sie schön war.
    »Was für ein altes Haus?« fragte Paul und spürte ein Stechen in der Brust.
    »Hab ich doch schon gesagt. Das, wo

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