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Die Tochter des Fotografen

Die Tochter des Fotografen

Titel: Die Tochter des Fotografen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Edwards
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auf den sie so lange gewartet hatte, war in ihr Leben getreten.
    Damals war er noch nicht verheiratet gewesen; weder verheiratet noch verlobt, was sie aus der Tatsache schloß, daß er keinen Ring trug. Caroline hatte ihm am Tag seiner Ankunft, als er einen Rundgang durch die Klinik machte, und später auf den Feiern, die gegeben wurden, um ihn willkommen zu heißen, und während der beruflichen Meetings aufmerksam zugehört. Dabei hatte sie etwas herausgehört, das andere, die von seiner Höflichkeit vereinnahmt waren oder von seinem unvertrauten Akzent und seinen plötzlichen Lachsalven abgelenkt wurden, nicht wahrnahmen: daß er nämlich, abgesehen von der Zeit, die er in Pittsburgh verbracht hatte, was sowieso aus seinem Lebenslauf hervorging, seine Vergangenheit niemals erwähnte. Diese Zurückhaltung war es, die ihn in Carolines Augen geheimnisvoll erscheinen ließ und in ihr den Glauben stärkte, daß sie ihn in einer Weise kannte, die |40| den anderen verborgen war. Für sie war jede ihrer Begegnungen bedeutsam; ihr war, als riefen sie sich über die weißen, wunderschönen und unvollkommenen Körper ihrer Patienten hinweg zu: Ich kenne und verstehe dich, ich weiß etwas, das die anderen nicht wissen. Wenn sie zufällig mit anhörte, wie Leute über ihre Schwärmerei für den neuen Arzt scherzten, erschrak sie und errötete vor Scham. Insgeheim jedoch war sie auch froh, da die Gerüchte ihn auf eine Weise erreichen mochten, auf die sie ihn, wegen ihrer Schüchternheit, nicht erreichen konnte.
    An einem Abend, zu sehr später Stunde, nachdem sie schon zwei Monate still miteinander gearbeitet hatten, hatte sie ihn überrascht, als er auf seinem Schreibtisch eingeschlafen war. Sein Gesicht ruhte auf seinen Händen, und er atmete gleichmäßig und tief. Caroline lehnte sich gegen den Türrahmen, und in diesem Moment verschmolzen all die Träume, die sie über Jahre gehegt hatte, in einem einzigen Traum. Zusammen würden sie aufbrechen, Dr. Henry und sie, zu einem abgeschiedenen Ort, wo sie jeden Tag im Schweiße ihres Angesichts arbeiten würden. Abends würde sie ihm etwas auf dem Klavier vorspielen, das ihnen über das Meer, den schwer schiffbaren Fluß hinauf und über grünes, sattes Land nachgeschickt worden wäre. Caroline war so vollkommen in diesem Traum versunken, daß sie Dr. Henry, als dieser die Augen öffnete, so offen und freimütig anlächelte, wie sie noch nie jemanden angelächelt hatte.
    Seine offensichtliche Überraschung brachte sie wieder zu sich. Sie richtete sich auf, nestelte an ihrem Haar herum, murmelte eine Entschuldigung und errötete. Dann verschwand sie; beschämt, aber zugleich auch freudig erregt. Jetzt mußte er es wissen, wenigstens würde er sie jetzt so sehen, wie sie ihn sah. Ein paar Tage lang wartete sie so gespannt darauf, was als nächstes geschehen würde, daß sie es kaum ertragen konnte, im selben Raum mit ihm zu sein. Dennoch war sie |41| nicht enttäuscht, als die Tage vergingen und nichts passierte. Sie entspannte sich, fand Entschuldigungen für die Verzögerung und wartete gelassen.
    Drei Wochen später schlug Caroline die Zeitung auf und fand das Hochzeitsfoto auf der Seite mit den Gesellschaftsnachrichten. Norah Asher, jetzt Frau Dr. Henry, war mit leicht zur Seite gedrehtem Kopf, was ihren schlanken Hals zur Geltung brachte, abgelichtet worden. Ihre Augenlider waren leicht geschwungen, wie Muscheln.
    Caroline schreckte auf. Sie trug noch immer den Mantel und schwitzte in dem überheizten Zimmer. Beinahe wäre sie eingenickt. Das Baby neben ihr schlief noch immer. Sie stand auf und ging zu den Fenstern. Vor ihr fielen schwere Samtvorhänge auf den Boden, Überbleibsel einer längst vergangenen Zeit, als dieser Ort noch ein elegantes Anwesen gewesen war. Sie berührte den Saum der glatten Stores darunter. Sie waren gelb, mürbe und atmeten Staub aus, als sie sich unter ihrer Berührung bauschten. Draußen stand ein halbes Dutzend Kühe auf den weißen Feldern. Ein Mann in einer karierten Jacke und dunklen Handschuhen bahnte sich schaufelschwingend einen Weg zum Stall.
    Es war nicht gerecht, daß Norah Henry alles hatte, was sie nicht bekam, daß sie ein so glückliches und unbeschwertes Leben führen durfte. Von diesem Gedanken und von der Tiefe ihrer eigenen Bitterkeit entsetzt, ließ Caroline die Vorhänge fallen und schlug die Richtung ein, aus der menschliche Stimmen kamen.
    Sie betrat eine Halle, an deren Decke Neonröhren summten. Ein kräftiger Geruch von

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