Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
Rom kam. Ein liebenswerter Mensch, der viele Fragen stellte und sich sogar mit Nando angefreundet hat. Anfangs wusste ich nicht recht, worauf er hinauswollte, aber irgendwann gestand er, wonach er suchte.«
»Er war nur vorsichtig.«
»Vermutlich. Jedenfalls hat er einige Gegenstände erworben und schien seiner Sache sicher. Jedenfalls fragte er mich, ob ich ihn mit anderen Interessierten bekannt machen könne.«
»Und habt Ihr das getan?«
Rocco dachte kurz nach.
»Als er eines Tages hier war, kam Euer Vater. Ich habe die beiden einander vorgestellt, und sie kamen miteinander ins Gespräch. Auf diese Weise hat Morozzi noch einen oder zwei andere Alchimisten kennengelernt, aber das war es.«
Ich nickte. Ich wusste, was Rocco sagen wollte. Das Bedürfnis nach Sicherheit ist das größte Hindernis für den Fortschritt. Jeder Forschende fürchtet die Entdeckung oder möchte seine Erkenntnisse aus Angst vor beruflicher Rivalität nicht offenbaren. Beides erschwert den Fortschritt. Falls es LUX wirklich gab, konnte man zumindest hoffen, dass dieser Zustand irgendwann überwunden wurde.
»Pater Morozzi hat vorgeschlagen, dass wir uns hier in Eurer Werkstatt treffen«, sagte ich. »Sollte Euch das nicht behagen, gehe ich natürlich sofort.«
Damit Ihr nicht allzu schlecht von mir denkt, müsst Ihr wissen, dass ein Teil von mir heftig dagegen protestierte, Rocco in die Sache hineinzuziehen. Mir war klar, dass ich seine Güte ausnutzte, aber das größere Ziel, das mich antrieb, ließ mir keine Wahl. So war ich nun einmal. Seitdem habe ich mich zwar gebessert, aber nicht in dem Maße, wie es vielleicht wünschenswert wäre.
Rocco zögerte lange, während mir durch den Kopf ging, welche Entscheidung ich ihm abverlangte. Auf der einen Seite stand das Leben, das er für sich und seinen kleinen Sohn aufgebaut hatte und das in Gefahr geriet, wenn er mir half. Doch auf der anderen Seite ging es um das Leben von vielen tausend Juden und um das größte Verbrechen, das die Heilige Mutter Kirche zu Fall bringen und uns in tiefste Finsternis stürzen würde.
»Bleibt«, sagte Rocco. Unsere Blicke trafen sich. »Tut, was Ihr tun müsst.«
Wir beendeten unsere Mahlzeit, und ich half Rocco beim Aufräumen. Einige Minuten später öffnete sich die Tür, und der Priester betrat die Werkstatt. Statt seiner Soutane trug er die Tunika eines Händlers. Eine vernünftige Vorsichtsmaßnahme, dachte ich. Ich wusste nicht, wie weit die übrigen Glasbläser in Roccos Geschäfte eingeweiht waren, und konnte mir vorstellen, dass der eine oder andere vielleicht die Stirn runzelte, wenn er einen Priester in der Werkstatt ein- und ausgehen sah. Allerdings war Morozzi auch ohne Priestergewand eine auffällige Erscheinung.
»Pater«, begrüßte Rocco seinen Gast. »Ich freue mich, Euch zu sehen.«
»Ich freue mich auch, mein Sohn«, entgegnete Morozzi
mit freundlichem Lächeln. Dann musterte er mich mit gerunzelter Stirn. »Und Ihr seid …?«
»Ich bin es, Pater. Francesca Giordano. Da ich auf Euren Wunsch ohne Begleitung gekommen bin, habe ich zur Vorsicht meine Identität verschleiert.«
Ganz gleich, welchen Grund ich für meine Männerkleidung anführte – der Priester hieß es nicht gut. Entsetzt starrte er mich an, bevor er rasch den Blick abwandte.
»Das geziemt sich nicht!«, protestierte er.
Rocco zog eine Braue in die Höhe, doch klugerweise überließ er es mir, Morozzi zu besänftigen.
»Wir leben in schwierigen Zeiten, Pater. Da muss sich doch jeder schützen, nicht wahr?«
Als selbst das nichts half und ich mir den nächsten verächtlichen Blick einhandelte, riss mir der Geduldsfaden. »Bitte, berichtigt mich, falls ich mich irre, Pater«, sagte ich kühl, »aber vertritt die Heilige Mutter Kirche nicht die Meinung, dass eine Frau, auch ohne zu sündigen, Männerkleidung tragen darf, wenn sie sich vor drohender Belästigung schützen muss?«
Wie ich sehr wohl wusste, hatte sich die Kirche zu dieser Erklärung gezwungen gesehen, um das Urteil gegen Johanna von Orleans wegen Häresie aufheben und ihre Heiligsprechung vornehmen zu können.
Rocco gab einen Laut von sich, der sich wie ein unterdrücktes Lachen anhörte.
»Ich muss nach dem Feuer sehen«, sagte er. »Sonst tut es ja keiner«, fügte er mit einem bedeutsamen Blick auf mich hinzu.
Ich überlegte, ob dieser Satz als verdeckte Warnung
gemeint war. Morozzi schien sich unbehaglich zu fühlen, aber über seine Kirche wollte er nicht mit mir diskutieren. Oder war
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