Die Tochter des Giftmischers - Poole, S: Tochter des Giftmischers - Poison
allererstes Fest. Papà hat gesagt, dass ich viele interessante Männer kennenlernen werde.«
Oh, ja, ganz bestimmt. Ein einziger Blick zu Borgia, der seine Tochter mit gütiger Nachsicht beobachtete – und ich wusste, warum ihm ihre Anwesenheit an diesem Abend so wichtig war.
Il Cardinale war bereit, seine beste Karte auszuspielen. In diesem Moment war die süße, liebliche Lucrezia nur ein Stein auf seinem Spielbrett.
»Kümmert Euch um sie«, sagte er leise, als er an mir vorbeiging, damit Lucrezia es nicht hörte. »Sie sitzt neben Sforza. Sorgt dafür, dass nichts Unerwartetes geschieht.«
Nur ein Mann wie Borgia fand nichts dabei, ausgerechnet seine Giftkundige mit der Aufsicht über seine Tochter zu betrauen. Denn auch Madonna Adriana war an diesem Abend anwesend. Sie trug ein purpurrotes Seidengewand mit zahlreichen Perlenschnüren und dazu eine Krone
aus goldenen Federn. Hatte sie soeben den Ring von …? Täuschten mich meine Augen? War der jüngere Mann mit dem wachsamen Blick und dem verkniffenen Lächeln tatsächlich Kardinal …?
Meine berufliche Verschwiegenheit erfordert, dass ich einen Schleier über die Ereignisse dieses Abends breite, sofern Personen betroffen sind, die zwar anwesend waren, aber keine Rolle bei dem spielten, was sich später vor meinen Augen ereignete. Es genügt, wenn ich sage, dass sich eine höchst merkwürdige Gesellschaft um den Tisch des Kardinals versammelt hatte. Zahlreiche Nachkommen hoch angesehener Familien, die oft verfeindet waren und einander dennoch liebenswürdig begegneten, wenn es ihnen passte.
Kein Wunder, dass Petrocchio, den ich als Zuschauer in meiner Nähe entdeckt hatte, so nervös gewesen war. Dabei schwamm er weit besser als ich in dieser Flut von Gerüchten, die Rom in jedem Sommer überschwemmen. Und er hatte, im Gegensatz zu mir, vorausgeahnt, wer heute Abend an dieser Tafel Platz nehmen würde. Der maestro und ich wechselten einen Blick – ich zweifellos ein wenig erschrocken, doch er spreizte weltmännisch und abgeklärt die Finger, als wollte er sagen: »Was habt Ihr anderes erwartet?«
»Zu Verhandlungen bereit«, hatte Vittoro sich ausgedrückt. Womit er zweifellos recht hatte. Aber Borgia wagte mehr als bloßen Opportunismus. Indem er so viele mächtige, einander in Feindschaft verbundene Männer um seinen Tisch versammelte, mimte er den wahren Friedensstifter, der alte Wunden heilen wollte. Eine wahrhaft christliche Haltung – die Borgia zweifellos Sympathien unter der römischen Bevölkerung eintrug, da sie die Ersten waren,
die unter den Zwistigkeiten der Anwärter auf den Heiligen Stuhl zu leiden hatten.
Natürlich glänzten auch bedeutende Namen an diesem Abend durch Abwesenheit – della Rovere und noch ein halbes Dutzend Kardinäle, die vermutlich mit ihm im Bunde waren. Andere waren noch immer unterwegs nach Rom und konnten nicht erscheinen, selbst wenn sie es gewollt hätten. Die übrigen Geladenen waren Bischöfe aus der Kurie, vor allem Anhänger Borgias, und noch eine Handvoll junge Geistliche am Beginn ihrer kirchlichen Laufbahn. Madonna Adriana, Lucrezia und ich waren die einzigen weiblichen Gäste.
»Ist es nicht wunderschön?«, flüsterte Lucrezia, als wir unsere Plätze in dem seidenen Zelt einnahmen, in dem es nach Jasmin und Patschuli duftete. Auf den Tischen schimmerten goldene Teller und feinstes Porzellan, und türkische Teppiche bedeckten den Boden. Hinter jedem Platz wartete ein Diener und breitete ein weißes Tuch aus feinstem Leinen über unseren Schoß, bevor er eilig Wein in die mit Edelsteinen besetzten Pokale füllte.
»Unglaublich«, flüsterte ich, obwohl ich ehrlicherweise sagen muss, dass ich mich eher auf den Anblick so vieler eitler und ehrgeiziger Männer bezog als auf die üppige Pracht, die an diesem Abend zur Schau gestellt wurde. Angesichts so vieler Feinde und Rivalen an einem Tisch konnte ich nur beten, dass keiner die Gelegenheit nutzte, irgendein Mittelchen in einen Becher, auf den Teller oder sonst wohin zu streuen. Eine solche Vergiftung wird nie rechtzeitig entdeckt, sodass sich die tödliche Wirkung ungehindert entfalten kann. Im Gegenteil. Wenn der Täter mutig genug ist, so
weist er jeden Verdacht von sich, indem er noch anderen, sich selbst eingeschlossen, eine geringere Dosis verabreicht, um sich ebenfalls als Opfer darzustellen. Eine bühnenreife Vorstellung mit heftigem Würgen und Übergeben verschafft einem das beste Alibi. Ich weiß, dass Ihr solche Ratschläge nicht
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