Die Tochter des Goldsuchers
Hässliche Kratzer, wie Spuren von Fingernägeln, zogen sich ihre Wange hinunter, und bei jedem Atemzug zuckte sie vor Schmerz zusammen.
»Schon gut, reg dich nicht auf, halt dich nur an mir fest. Gleich haben wir’s geschafft.«
»… wusste nicht, wohin …«, brachte Alice mühsam hervor, »… sollte nicht hier sein …«
»Sprich jetzt nicht. Erst wollen wir ins Haus. Oh, Lucius.« Erleichtert blickte Sarah dem Mann entgegen, der den Berg herunterrannte. Sobald er bei ihr war, bat sie: »Hilf mir, sie ins Haus und hinauf ins Bett zu bringen. Sie ist schwer verletzt.«
»Was zum Teufel …« Ächzend hob er Alice auf die dürren Arme. »Sie wissen, wer dieses Mädchen ist, Miss Sarah?«
»Ja. Bring sie hinauf in mein Bett, Lucius. Ich hole inzwischen Wasser.«
Alice verlor das Bewusstsein, als Lucius sie die Leiter zum Dachboden hinaufzog. »Jetzt ist sie ohnmächtig geworden.«
»Das ist erst einmal besser so.« Rasch füllte Sarah eine Schüssel mit Wasser und nahm saubere Tücher. »Sie muss furchtbare Schmerzen haben. Ich kann mir gar nicht vorstellen, wie sie den ganzen Weg hierher zu Fuß geschafft hat.«
»Sieht so aus, als hätte sie schreckliche Prügel bekommen.«
Sarah stieg die Leiter hinauf, ging zum Bett und setzte sich auf die Kante. Vorsichtig begann sie, Alice das Gesicht zu waschen. Als Sarah ihr das Mieder aufschnürte, räusperte Lucius sich und wandte ihnen diskret den Rücken zu.
»Oh mein Gott!« Mit zitternden Händen löste Sarah die restlichen Knöpfe. »Hilf mir, ihr das Kleid auszuziehen, Lucius. Es sieht so aus, als wäre sie ausgepeitscht worden.«
Der Anblick der Striemen auf Alices Schultern und Rücken ließ Lucius seine Scheu überwinden. »Ja, sie ist gepeitscht worden.« Der Stoff des Kleides klebte an den offenen, blutenden Wunden. »Der Bastard, der das verbrochen hat, soll mir mal unter die Finger kommen.«
Sarah hatte vor Wut die Hände zu Fäusten geballt. »Auf dem Regal über dem Herd ist Salbe, Lucius. Hol sie mir bitte.« Sie wusch die Wunden aus und kühlte sie.
Stöhnend schlug Alice die Augen auf.
»Versuche, dich nicht zu bewegen, Alice«, bat Sarah. »Wir kümmern uns um dich. Hier bist du in Sicherheit, das verspreche ich dir.«
»Es tut so weh.«
»Das kann ich mir denken.« Tränen traten Sarah in die Augen, als sie die Salbe über die geschwollenen Striemen strich.
Es war eine langwierige, schmerzhafte Behandlung. Obwohl Sarah äußerst behutsam vorging, wimmerte Alice jedes Mal, wenn sie sie berührte. Bis zur Taille hinunter war ihr Rücken mit roten Streifen übersät, von denen manche aufgesprungen waren und bluteten. Sarah balsamierte und verband, so gut sie konnte, und sprach tröstende Worte.
»Möchtest du noch einen Schluck Wasser?«
»Ja, bitte.« Sarah stützte Alices Kopf und setzte ihr die Tasse an die Lippen. »Es tut mir ja so leid, Miss Conway.« Müde lehnte Alice sich zurück, und Sarah legte ihr ein kühlendes Tuch auf das verletzte Auge. »Ich weiß, ich hätte nicht herkommen sollen. Es ist nicht recht, aber ich konnte einfach nicht mehr klar denken.«
»Doch, du hast schon das Richtige getan.«
»Sie waren so nett zu mir das letzte Mal. Und ich hatte solche Angst …«
»Du brauchst dir keine Sorgen mehr zu machen.« Sarah behandelte jetzt die Kratzer in Alices Gesicht. »In ein paar Tagen, wenn du dich besser fühlst, können wir darüber nachdenken, was weiter geschehen soll. Jetzt bleibst du erst einmal hier.«
»Ich kann doch nicht …«
»Natürlich kannst du hierbleiben.« Sarah stellte die Salbe beiseite und nahm Alices Hand. »Bist du jetzt imstande, uns zu sagen, was geschehen ist? Hat ein Mann, einer deiner Freier, dir das angetan?«
»Nein, Ma’am.« Alice befeuchtete ihre trockenen Lippen. »Es war Carlotta.«
»Carlotta?« Sarah sah Alice prüfend an. »Du sagst, Carlotta hat dich so zugerichtet?«
»Noch nie habe ich sie so rasend erlebt. Manchmal wird sie ja ziemlich gemein, wenn ihr etwas nicht passt, oder wenn sie zu viel getrunken hat, schlägt sie schon mal zu. Aber diesmal ist sie völlig durchgedreht. Sie hätte mich vielleicht umgebracht, wenn die anderen Mädchen nicht die Tür eingeschlagen und losgeschrien hätten.«
»Aber warum nur? Weshalb hätte sie dir wehtun sollen?«
»Weiß nicht genau. Hab wohl was falsch gemacht. Carlotta war furchtbar wütend, nachdem Jake gegangen war. Sie hatten Streit. Nancy, das ist eins von den anderen Mädchen, lauschte vor Carlottas Büro. Nancy
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