Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
war rein und glatt, seine Züge fein – hohe Wangenknochen, eine gerade Nase, ein voller Mund.
»Für mich?«, fragte er schüchtern.
»Ja.«
»Wollen Sie sie nicht?«
»Ich esse nicht viele Süßigkeiten. Nimm sie ruhig. Ich habe sie extra für dich mitgebracht.«
Er griff nach einem Keks und blickte sie dann wieder an, als sei ihm plötzlich etwas eingefallen – wobei er ihr nicht direkt, aber doch fast in die Augen sah. »Danke, Miss …«
»Miss Smallwood. Aber du kannst mich Emma nennen, wenn du magst. Ich sage ja auch Adam zu dir.«
»Emma … das ist der Name meiner Ma. Emma Hobbes. Pa nennt sie Emma oder Em oder Süße.«
So viel auf einmal hatte Emma Adam noch nie reden hören. Ihr fiel auf, dass Adam im Präsens von der Frau sprach, und sie überlegte, ob er wohl wusste, dass seine Ma endgültig fort war. Sie hoffte, dieErwähnung des Namens seiner Adoptivmutter würde ihn nicht aufregen oder einen weiteren Anfall auslösen.
Doch wie er dasaß und einen der Kekse aß, wirkte er völlig ruhig.
»Emma, Emma …« Er wiederholte es ohne Qual, nicht wie einen Sprechgesang, eher so, als teste er eine mit Ingwer gewürzte Silbe – »Em-ma« – und fände sie köstlich.
Sie blickte auf und sah, dass Henry Weston sie beobachtete. Ihre Blicke begegneten sich und verweilten in einem kurzen Moment der Erleichterung und Freude ineinander.
Plötzlich klopfte es leise an der Tür und Henry löste seinen Blick von Miss Smallwoods.
Mrs Prowse trat ein, sie hatte ihren Flickkorb dabei. »Ach hallo, Miss Smallwood. Mr Weston.« Sie zögerte. »Ich wollte mich nur ein Weilchen zu Adam setzen.« Unsicher flog ihr Blick zu Miss Smallwood hinüber. »Aber wenn …«
»Ich wollte gerade gehen«, sagte Miss Smallwood und beantwortete damit die unausgesprochene Frage der Frau.
»Danke, Mrs Prowse.« Henry lächelte sie bestätigend an. »Sie kommen gerade richtig, ich muss nämlich auch gehen.«
Sie verabschiedeten sich von Adam, danach führte Henry Miss Smallwood zur Tür und öffnete sie für sie. »Wo gehen Sie jetzt hin?«, fragte er; er schien absolut keine Lust zu haben, sich schon von ihr zu trennen.
»Ins Schulzimmer.«
Er nickte und ging neben ihr den Flur entlang. »Wie machen sich Julian und Rowan denn so?«
»Ganz gut, finde ich.«
Sie gingen zusammen bis zur Treppe. Etwas weiter unten auf dem Flur trat gerade Mr Smallwood aus seinem Zimmer. Er schob sich einen Stapel Bücher unter den Arm und schloss mit der frei gewordenen Hand die Tür.
Bevor Henry reagieren konnte, sagte Emma: »Entschuldigen Sie mich«, und lief zu ihrem Vater. Henry hätte den beiden seine Hilfeanbieten sollen, doch stattdessen blieb er stehen und blickte ihr einfach nach. Gegen seinen Willen fiel ihm der sanfte Schwung ihrer Hüften auf, während sie mit ihren langen Beinen den Flur hinunterschritt – den Kopf erhoben, die Schultern gestrafft. Welch eine außergewöhnliche Haltung! Was für ein langer, eleganter Nacken.
Henry … warnte er sich im Stillen, als er sich bei diesen Gedanken ertappte. Er erinnerte sich an eine kleine Szene in Adams Zimmer; er hatte gesehen, wie sein Bruder schüchtern zu ihr hinauflächelte, und hatte sich darüber gefreut. Und das Dominospiel – woher hatte sie gewusst, dass es ihm solche Freude machen würde?
Miss Smallwood nahm ihrem Vater ein paar Bücher ab. Er sagte etwas zu ihr und sie lächelte ihn an. Sie hatte gute Zähne – ein hinreißendes Lächeln.
Wie gern würde er Emma Smallwood selbst so zum Lächeln bringen! Er musste es sich vornehmen, wenn sie das nächste Mal zusammen waren.
Doch dann fiel ihm Phillip ein und dessen Geständnis, dass er ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen liebte und er eigens nach Ebbington zurückgekehrt war, um sie zu sehen. Henry seufzte und versuchte, den bitteren Kloß der Enttäuschung, der plötzlich in seiner Kehle steckte, herunterzuschlucken.
Später am Nachmittag saß Emma in ihrem Zimmer im Sessel und las in dem Band über die Geschichte Cornwalls.
Es klopfte und sie rief: »Herein!«
Lizzie öffnete die Tür und steckte den Kopf ins Zimmer. »Darf ich reinkommen? Ich brauche unbedingt weibliche Gesellschaft, vorzugsweise ein weibliches Wesen, das nicht von mir verlangt, mir bei einer Näharbeit schlechte Augen zu holen.«
Emma nickte. Sie stand auf und bot Lizzie den Sessel an. »Du kannst ein bisschen mit mir lesen, wenn du willst.« Sie deutete auf den Stapel Bücher auf dem Tisch, gekrönt von ihrer Teetasse unddem
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