Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
wollte er nur noch hinaufgehen und ins Bett fallen. Als Lady Weston ihm vom Salon aus winkte, musste er ein Stöhnen unterdrücken.
»Hallo, Henry. Wie geht es unserem Helden?«
»Gut. Ich war gerade unten bei den Seeleuten.«
»Das hättest du nicht tun müssen. Davies hätte doch für dich gehen können. Sie sind in guter Verfassung, dank deiner Hilfe.«
»Ja, aber nicht dank Mr Teague.«
Lady Weston zog die Brauen hoch. »Mr Teague?«
»Er hat sie letzte Nacht bestohlen – und uns auch, genau genommen, da er den Einlass in den Ebbington-Schuppen erzwungen hat.«
Sie starrte ihn an und schien etwas sagen zu wollen, doch dann sah sie den Sack, den er über der Schulter trug. »Du hast ihn doch hoffentlich nicht zur Rede gestellt oder zurückverlangt, was er genommen hat?« Ihre Finger spielten unruhig und nervös mit ihrem Spitzenkragen.
»Und ob ich ihn zur Rede gestellt habe! Aber er war zu betrunken von dem Portwein, den er gestohlen hat.«
»Und was ist in dem Sack, wenn ich fragen darf?«
»Orangen – ein Geschenk von den Seeleuten.« Er entsann sich seiner Manieren und fragte: »Möchten Sie eine?«
Sie rümpfte die Nase. »Nein, danke. Das Schälen ist so umständlich. Und die weiße Haut mag ich schon gar nicht.«
»Gut.«
Er wandte sich zum Gehen, doch sie rief ihn zurück.
»Henry?«
Er drehte sich wieder um und sah, dass sie zögerte.
Sie sagte: »Hab Nachsicht mit Mr Teague. Wir sollten ihn nicht unterschätzen und auch nicht leichtfertig bedrohen.«
Henry wusste nicht, ob ihre Fürsorge ihn rühren oder misstrauisch machen sollte. »Meine Drohung war nicht leichtfertig, Madam. Im Gegenteil, sie war durchaus ernst zu nehmen.«
Damit ging er und machte sich auf die Suche nach Miss Smallwood.
Er fand sie oben im Schulzimmer, am Schreibtisch ihres Vaters.
»Miss Smallwood.«
Sie blickte auf, überrascht und, wenn er sich nicht irrte, erfreut.
»Mr Weston. Wie geht es den Seeleuten?«
Er legte neugierig den Kopf schräg. »Woher wussten Sie, dass ich zu ihnen gegangen bin?«
»Ich wusste es nicht«, sagte sie, »ich nahm es nur an.«
Er fragte sich, ob ihr bewusst war, dass sie ihm gerade ein Kompliment gemacht hatte.
»Sie haben sich ganz gut erholt, zum Glück. Sind nur noch etwas erschöpft.« Er beschloss, sie nicht mit dem Diebstahl zu beunruhigen. Stattdessen nahm er den Leinensack von der Schulter, stellte ihn auf den Schreibtisch und nahm eine Orange heraus.
»Mögen Sie Orangen?«
»Natürlich, wer nicht?«
»Lady Weston zum Beispiel. Sie mag die weiße Haut zwischen Frucht und Schale nicht.«
»Es braucht ein bisschen Zeit, sie zu entfernen. Aber ich finde, das haben viele Annehmlichkeiten im Leben so an sich. Ein wenig Anstrengung erhöht nur das Vergnügen.«
Darüber musste er lächeln. »Hier.« Er reichte ihr ein paar Früchte. »Es ist nur recht und billig, dass ich sie mit Ihnen teile, nachdem Sie die Glocke geläutet haben.«
Sie schüttelte den Kopf. »Zwei Stück nehme ich an. Eine für meinen Vater und eine für mich. Oh … darf ich noch eine für Adam nehmen? Es sei denn, Sie geben sie ihm lieber selbst.«
Dass sie an seinen Bruder dachte, erzeugte ein warmes Gefühl in seiner Brust.
Er reichte ihr noch eine Orange, hielt sie jedoch fest, als sie ihre Hand ausstreckte, um sie entgegenzunehmen. Einen Augenblickumfassten sie beide die Frucht und ihre Finger, die sich um die Orange, die Frucht seiner Mühen, schlossen, berührten sich.
»Danke«, sagte sie und verzog ganz leicht die Brauen, während sie auf seine Finger blickte, ohne die ihren zurückzuziehen.
»Ich danke Ihnen «, entgegnete er und betonte das letzte Wort.
Beim Anblick ihrer sanften grünen Augen und ihres schön geschwungenen Mundes wünschte er sich plötzlich, jetzt auf der Stelle eine Orange zu schälen und Emma Smallwood Schnitz für Schnitz damit zu füttern und ihr den köstlichen Saft von den Lippen küssen zu dürfen …
Immer mit der Ruhe, Weston , ermahnte er sich und wandte sich ab, um den Rest des Obstes in die Küche zu bringen.
Emma brachte Adam eine Orange, half ihm, sie zu schälen und sah voller Freude zu, mit welchem Genuss er sie verzehrte. Danach forderte sie ihn auf, sich die klebrigen Hände zu waschen, und spielte noch eine Partie Schach mit ihm. Sie war höchst beeindruckt von seinen Fähigkeiten. Henry war offenbar ein guter Lehrer.
Später brachte sie auch ihrem Vater eine Orange und zu ihrer Erleichterung fand sie ihn in besserer geistiger
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