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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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stärkeren Wind erlebt, seit ich in Cornwall bin.«
    Er antwortete nicht, weil er weder seine Unheilsandrohungen wiederholen wollte noch Davies' Warnung, dass sich ein schlimmer Sturm zusammenbraute. Stattdessen ging er quer durch die Kapelle und spähte erst aus einem der schmalen Fenster, dann aus einem anderen, um zu sehen, ob jemand da war, den er rufen konnte. Oder dem er die Schuld geben konnte. Oder ob es doch einen Fluchtweg gab. Aber es war hoffnungslos.
    Sogar Emma mit ihrer verführerisch schmalen Taille würde niemals durch einen dieser engen Schlitze passen.
    Dann ging er zu dem zugemauerten Durchgang, der früher einmal in den anderen Teil der Kirche geführt hatte; vielleicht war diese Wand ja schwächer als der dicke Sandstein, der all die Jahre den Stürmen standgehalten hatte. Wenn er doch wenigstens irgendein Werkzeug hätte! Er sah die Lampe an, die er mitgebracht hatte. Mit dem kräftigen Metallfuß könnte er vielleicht gegen den Mörtel klopfen und so die Ziegel lösen. Aber wahrscheinlich würde er es nicht schaffen und dabei nur die Flamme erlöschen, und dann hatten sie nicht einmal mehr Licht. Wenn er doch nur daran gedacht hätte, ein Messer mitzunehmen … oder eine Pistole. Er stellte die Lampe in das Fenster zum Dorf – vielleicht sah es ja jemand – und suchte weiter nach einem Ausweg.
    »Außerdem«, fuhr Miss Smallwood fort, »wird mein Vater sich bald zusammenreimen, wo ich hingegangen bin, und Alarm schlagen.«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Na ja, wenn ich nicht im Schulzimmer bin, wird er sich denken, dass ich ihn suche.«
    »Warum dachten Sie eigentlich, dass er hierher gegangen ist?«, fragte Henry, während seine langen Finger weiter die Ziegel abtasteten, auf der Suche nach Rissen, nach einer schwachen Stelle in der Mauer.
    »Weil er mir eine Nachricht hinterlassen hat.«
    »Wirklich? Sind Sie sicher, dass es seine Handschrift war?«
    Zweifel flackerte in ihren Augen auf, plötzlich wirkte sie angespannt. »Oh … ich … ich weiß nicht. Irgendetwas daran kam mir komisch vor.«
    »Miss Smallwood, ich bin Ihrem Vater begegnet. Er ging in Richtung Süden, als ich nach Hause zurückritt.«
    Sie starrte ihn mit offenem Mund an. »Wenn er gar nicht hierher kommen wollte, warum sollte er mir dann … Warum hat dann irgendjemand eine Nachricht geschrieben, dass er hier sei?«
    Er sah sie grimmig an, sagte aber nichts.
    Ein Schauder überlief sie. Sie sagte schwach: »Nun, Lizzie weiß, wo ich bin. Und Julian und Rowan auch.«
    Jetzt packte ihn die blanke Angst. Würde einer seiner Halbbrüder ihnen helfen?
    Sie fügte hoffnungsvoll hinzu: »Und ganz bestimmt hat doch jemand gesehen, dass Sie in diese Richtung geritten sind?«
    »Vielleicht. Aber ich habe keinem gesagt, wo ich hingehe.«
    »Das war nicht sehr klug.«
    Er wand sich. »Ich hatte wahrlich andere Dinge im Kopf«, gab er scharf zurück. »Und, wenn ich das sagen darf, dass Sie heute hier hinausgegangen sind, war ebenfalls nicht gerade klug.«
    Sie schluckte; die trotzige Erwiderung, die er in ihr aufsteigen sah, blieb unausgesprochen. Ihre Schultern sackten nach unten. »Sie haben recht. Ich bin hier hinuntergestürmt, ohne nachzudenken. Ein solches Verhalten hätte von Ihnen stammen können.«
    Er schnaubte trocken und setzte seine Inspektion fort. »Da haben Sie leider recht.« Warum hatte er nicht an den Schlüssel gedacht? Warum überhaupt war er nicht auf der Hut gewesen?
    »Wir wollen uns nicht streiten«, sagte sie. »Denken wir lieber übereinen Ausweg nach. Wir sind beide nicht dumm. Ich bin sicher, uns fällt etwas ein.«
    »Sie können überlegen, so viel Sie wollen.« Er holte tief Luft. »Ich bete jetzt.«

24

    »… und siehe, die vier Winde unter dem Himmel
wühlten das große Meer auf.«
    Daniel 7,2
    Als die erste Welle durch das Westfenster klatschte, hörte Henry, wie Emma, die auf der anderen Seite der Kapelle stand, scharf die Luft einsog. Bald darauf drang die zweite Schaumkrone durch den Schlitz ein, ergoss sich über den Steinboden und durchnässte Emmas Halbstiefel. Henry, der gerade mit einem scharfen Stein, den er gefunden hatte, die Ziegel bearbeitete, sah zu ihr hinüber; einen Augenblick lang schwiegen beide und sahen sich nur an. Dann machte er sich mit noch größerer Entschlossenheit wieder an die Arbeit, während sie zur Tür lief, erneut versuchte, sie zu öffnen, und ein weiteres Mal um Hilfe rief.
    In Henrys Kopf überschlugen sich die Gedanken, was alles passieren konnte, wenn ein

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