Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)
dabei bemerkte er, dass der Wasserspiegel fast bis zur Klinke reichte. Als er dort war, schlug er mit der Faust gegen den oberen Teil der Tür. »Aufmachen! Wir sind hier drin eingeschlossen!«
Dann schwieg er und lauschte.
»Nicht so nah an den Damm!« Das war Julians Stimme. »Was machst du da?«
»Wir müssen bis an die Tür kommen.« Rowans leisere Stimme.
»Du bringst uns noch beide um.«
»Gib mir den Schlüssel!«
»Lass uns umkehren.« Julians Stimme wurde lauter. »Die Wellen sind zu hoch!«
»Noch nicht. Gib mir den Schlüssel.«
Keine Antwort. Henry hielt die Luft an.
»Verdammt, Julian«, knurrte Rowan, »gib mir den Schlüssel!«
Er hörte einen Schlag – Faust auf Körper, gefolgt von einem dumpfen Aufprall.
Was ging da vor? Endlich vernahm er das ersehnte Geräusch von Metall auf Metall. Ein Schlüssel, der sich im Schloss umdrehte.
Henry hob die Hand an die Klinke. Was erwartete ihn draußen? Ein Schwall Wasser? Er blickte über die Schulter zurück, um sicherzugehen, dass Emma noch auf dem Becken stand, dann drückte er die Klinke hinunter und fühlte, wie sie nachgab. Die Tür flog nachinnen auf, das Wasser drückte sie herein und stieg bis zu seiner Taille, aber nicht weiter. Erleichterung durchflutete ihn. Danke, Gott!
Draußen vor der Tür, wo normalerweise die Stufen auf die felsige Landzunge hinunterführten, stand jetzt kabbeliges Wasser, ein Bote der Flut und des Sturms. Es herrschte immer noch schwerer Wellengang, doch der Sturm schien etwas nachgelassen zu haben. Das Meer hatte die Landzunge überflutet, sodass man kaum zwischen Hafen und offener See unterscheiden konnte.
Vor der Kapelle, teils durch den Damm geschützt, lag ein kleines Fischerboot. In dem Boot stand Rowan, aufrecht, die Beine weit gespreizt. Hinter ihm, am Grund des Bootes, kämpfte sich soeben Julian auf die Füße.
Rowan setzte sich an die Ruder und zog sie kräftig durch.
Henry schaute vom Boot zum Ufer und sah Derrick Teague, die Hände in die Seiten gestemmt; Major warf nervös den Kopf herum und Lizzie kam durch den Sand zum Ufer hinuntergelaufen. Hatte sie die Glocke geläutet?
Henry rief: »Rowan, Gott sei Dank, dass du gekommen bist.«
Rowan rang mit den Wellen, um das kleine Boot zurück vor die Tür der Kapelle zu bugsieren.
Hinter Henry hörte man ein Klatschen, dann kam Emma auf ihn zugewatet. Henry ging ihr ein Stück entgegen, nahm ihre Hand und führte sie zur Tür.
Draußen kämpfte Rowan immer noch, das Boot an Ort und Stelle zu halten. Er legte sich in die Riemen und rief: »Julian, wirf Henry das Seil zu.«
»Julian …!«, rief Derrick Teague vom Ufer her; seine Stimme klang warnend.
»Wirf mir das Seil zu«, befahl Henry und streckte die Hand aus.
Julian blickte von Henry zu Teague, der am Ufer stand. Er wirkte unsicher, wie in einem Zwiespalt. Dann sah er seinen Zwillingsbruder an. »Du hast mich geschlagen!«, rief er und rieb sich den Kiefer.
»Das ist weniger, als du verdient hast«, gab Rowan zurück. »Jetzt wirf ihm schon das Seil zu!«
Doch Julian stürzte sich auf Rowan und versetzte seinem größeren Bruder einen Stoß, der diesen gegen den Bug schleuderte.
»Hör auf, Julian!«
Das Boot glitt mit großer Schnelligkeit von der Kapelle fort.
Julian schnaubte: »Keiner schlägt mich, du Frechling!«
Rowan ließ seine Faust vorschnellen und traf ihn abermals.
Julian schwankte und verlor das Gleichgewicht. Er ging rückwärts über Bord und fiel in das aufgewühlte Wasser. Lizzie am Ufer schrie auf und presste die Hände gegen die Wangen.
Rowan wurde blass, setzte sich aber wieder an die Ruder und bewegte das Boot zurück zur Kapelle.
Julians Kopf erschien über der Wasseroberfläche; er spuckte Wasser und fluchte.
Henry, Julian fest im Blick, sagte zu Rowan: »Miss Smallwood zuerst.«
Rowan, der um sein Gleichgewicht kämpfte, während das kleine Gefährt auf den Wellen torkelte, warf seinem Bruder das Anlegeseil zu; sein Gesicht war angespannt. »Beeil dich«, rief er, »der Sturm macht nur eine Pause. Das Schlimmste kommt noch, sagt Davies. Wir müssen hier weg!«
Henry reagierte schnell. Er fing das Seil. Dann stützte er sich mit dem Fuß im Türrahmen ab und streckte Emma die Hand hin. »Los, ins Boot, Emma.«
»Was ist mit Julian?«
»Steig du zuerst ein.«
Emma nahm seine Hand und streckte die andere Rowan entgegen; halb stieg sie ins Boot, halb fiel sie hinein.
»Dafür bringe ich dich um, Rowan«, schrie Julian, obwohl er sichtlich zu kämpfen
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