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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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Weston schüttelte den Kopf, ohne Julian auch nur noch eines Blickes zu würdigen. Ihr kurzer Ausbruch war vorüber, geblieben waren nur Erschütterung und Enttäuschung. Sie wirkte auf einmal zehn Jahre älter, wie eine verwelkte Blume, deren Kopf zu schwer geworden war für den zarten Stängel.
    Emma fühlte sich genauso. Mit schwachen Beinen nahm sie den Arm, den ihr Vater ihr bot, und verließ mit ihm zusammen das Zimmer.
    Erleichtert und betrübt zugleich registrierte sie, dass keine einzige Seele im Raum etwas gegen ihre Abreise einzuwenden hatte.

    Es war erstaunlich, wie rasch ihre Wochen auf Ebbington Manor in ein paar Koffern und Reisetaschen verstaut waren. Morva kam, um Emma mit den Kleidern zu helfen, Emma selbst packte ihre Bücher und die goldgeränderte Teetasse ein. Ihrem Vater hatte man Henrys Kammerdiener Merryn geschickt, weil der Lakai, der eigentlich zuständig war, vor Julians Zimmer Wache stand.
    Das Schulzimmer nahm die meiste Zeit in Anspruch – die eigenen Bücher, Karten und Papiere aus denen der Westons auszusortieren.
    Nach einer ereignislosen Nacht stand Emma früh auf. In ihrem Magen mischten sich Erleichterung und Furcht zu einem Gefühl der Übelkeit. Sie dachte: Das ist der Morgen, an dem wir Ebbington Manor für immer verlassen.
    Morva kam und half ihr beim Ankleiden. Dann entschuldigte Emma sich und überließ es dem Mädchen, fertig zu packen und den Koffer zu schließen.
    Emma ging den Flur entlang, an der Pritsche vorbei, die noch immer vor Julians Tür stand, obwohl der Lakai bereits aufgestanden war. Sie wandte sich zum Nordflügel, ohne das Gefühl der Beklemmung, das sie früher empfunden hatte; heute empfand sie nur Trauer und Verlust bei dem Gedanken, Adam nie wiederzusehen. Und Henry wahrscheinlich auch nicht.
    Sie klopfte leise.
    »Herein.«
    Ihr Herz machte einen Satz. Das war nicht Adams Stimme – das war Henrys.
    So früh? Damit hatte sie nicht gerechnet. Woher sollte sie den Mut nehmen, ihm in diesem Augenblick zu begegnen? Sie wandte sich um, weil sie sich und ihm die peinliche Begegnung, die formelle, höfliche Verabschiedung ersparen wollte.
    Hinter ihr ging die Tür auf – schneller, als sie gedacht hatte.
    »Emma – äh, Miss Smallwood.«
    Sie krümmte sich innerlich, zwang sich jedoch zu einem neutralen Gesichtsausdruck, als sie sich umdrehte.
    Henry stand auf der Schwelle, er wirkte erwartungsvoll, aber dennoch auf der Hut. Befürchtete er, dass sie gekommen war, um ihm irgendeine Zusage abzuringen? Um ihm eine Szene zu machen?
    Sie stotterte: »Ich bin gekommen, um Adam Auf Wiedersehen zu sagen. Aber wenn Sie mit ihm zu reden haben, kann …«
    »Kommen Sie herein. Er möchte Sie sehen. Ich habe versucht, es ihm schonend beizubringen, er wird sich also hoffentlich nicht aufregen.«
    Welche Ironie: Der einzige Mensch, dem es wirklich leidtat, dass sie ging, war der einzige Weston, von dessen Existenz sie nichts gewusst hatte, bevor sie hierhergekommen war.
    Sie neigte den Kopf und ging an Henry vorbei ins Zimmer, unfähig, ihm in die Augen zu sehen.
    Drinnen saß Adam an dem kleinen Tischchen am Fenster und spielte müßig mit einem Zinnsoldaten. Er stand nicht auf und setzte sich nicht einmal gerade hin, als sie mit vernehmbaren Schritten aufihn zuging, doch sie merkte, dass er sie aus den Augenwinkeln fixierte.
    Sie setzte sich in den Sessel ihm gegenüber und sah das säuberlich in die Schachtel verpackte Schachspiel auf dem Tisch. »Hallo, Adam«, sagte sie sanft.
    Seine Augen huschten zu ihr hoch, wandten sich aber gleich wieder zur Seite. »Hallo, Emma.«
    Sie zwang sich zu einem leichten Ton. »Ich fahre heute nach Hause.«
    »Henry hat es mir gesagt. Ich will, dass Sie bleiben.«
    Sie merkte, dass er, obwohl er mit einem Zinnsoldaten spielte, in der anderen Hand etwas hielt. Sehr fest hielt.
    »Wir haben Ihr Schachspiel eingepackt«, sagte Adam. »Henry sagt, ich soll Ihnen danken, dass Sie mich damit haben spielen lassen.« Am Ende dieses Satzes holte er tief Luft.
    Emmas Magen verknotete sich. »Gern geschehen, Adam.« Dann fragte sie leise: »Was hältst du da in der Hand?«
    Adam sah auf seine linke Hand hinunter. Dann öffnete er langsam seine verkrampften Finger. Darin lag die weiße Königin.
    Adam warf einen langen Blick auf die Figur, dann streckte er ihr langsam die Hand hin.
    Hinter ihr sagte Henry ruhig: »Er möchte sie nicht hergeben.«
    Seine Worte hallten in Emmas Herz wider. Sprach er von mehr als einer Schachfigur? Sprach er

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