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Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Die Tochter des Hauslehrers (German Edition)

Titel: Die Tochter des Hauslehrers (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julie Klassen
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und dem alten, angeschlagenen Service ihrer Tante herein.
    Emma blickte von dem Alltagsgeschirr zu dem schönen, rosa-weißen Porzellan im Eckschrank. Bei diesem Anblick wurde ihr schwer ums Herz. Sie stand abrupt auf, hob den Finger in einer Wartet-eine-Minute-Geste und ging zu ihrem Koffer. Dort holte sie die goldgeränderte Teetasse heraus, wickelte sie aus der Schutzhülle, trug sie zum Tisch und setzte sie mit einer dramatischen Geste ab.
    »Jetzt möchte ich Tee.« Emmas Blick fiel auf das Tablett. »Und einen Keks.«
    Ihr Vater riss erschrocken die Augen auf. »Meine Liebe, habe ich etwa deinen Geburtstag vergessen?«
    Emma lachte: »Nein, Papa.«
    Er sah sie verwirrt an und Tante Jane zog die Brauen fast bis zum Haaransatz hoch. Doch als Emma ihnen keine weitere Erklärung offerierte, räusperte sich ihr Vater und fragte seine Schwester nachden Neuigkeiten im Ort. Sie tranken Tee und sprachen über ein paar unwichtige Details der Reise – den Straßenzustand, die Gasthäuser, den Komfort der Kutsche. Doch die ganze Zeit über ruhten Jane Smallwoods große grüne Augen mit unausgesprochener Besorgnis auf dem Gesicht ihrer Nichte.
    Zu müde, um sich noch um das Gepäck zu kümmern, borgte Emma sich eines der frisch gebügelten Nachthemden ihrer Tante. Tante Jane half ihr aus dem Reisekleid und öffnete ihr das lange Korsett. Sie hängte auch ihr Kleid auf, während Emma das Nachthemd über den Kopf zog und in das Bett ihrer Tante kletterte.
    Emma blickte auf den Nachttisch und sah den vertrauten Brief, neben dem Buch über Dampfmaschinen. »Wie ich sehe, hast du immer noch Mr Farleys Brief. Als Staubfänger, so wie dein Teeservice.«
    »Und wie deine Teetasse – bis jetzt«, entgegnete ihre Tante schlagfertig.
    Und wie unsere Herzen, fügte Emma im Stillen hinzu.
    Tante Jane gab Emma einen Kuss auf die Stirn und versprach, bald nachzukommen; sie wollte nur noch nach ihren Schülerinnen sehen.
    Als Emma allein dalag, griff sie nach dem Brief. Es war lange her, dass sie ihn gelesen hatte, doch an das Wichtigste erinnerte sie sich: dass Mr Farley Janes Anmut und Intelligenz bewunderte und dass er ihre Bekanntschaft gern vertiefen würde.
    Vor ihrem inneren Auge erschien das Bild von Henry Westons Gesicht, wie er sie bewundernd ansah. Sie versuchte vergeblich, es fortzublinzeln.
    Ein paar Minuten später kam Tante Jane herein und unterbrach Emmas Träumerei. Sie zog sich aus und setzte sich zu Emma auf die Bettkante, sodass Emma ihr das Korsett aufbinden konnte. Dann zog sie ihr Nachthemd an und schlüpfte unter die Decke. Das Bett schaukelte leicht bei der Bewegung.
    Emma fragte: »Hast du ihm nie geantwortet?«
    Jane blickte auf den Brief in Emmas Hand. »Nein. Nie.«
    »Warum nicht?«
    Jane schwieg, sie strich mit der Hand über die raue Oberfläche desQuilts. »Ich weiß es selbst nicht recht. Als der Brief kam, war ich nicht bereit, über solche Dinge nachzudenken. Ich hatte eine Schule zu leiten. Und Mädchenschulen werden normalerweise von unverheirateten Frauen geleitet.«
    »Nicht immer.«
    Jane seufzte. »Ich weiß nicht, Emma. Ich habe einfach nie zurückgeschrieben und er auch nicht. Und so verging die Zeit und mit ihr die Gelegenheit.«
    »Er hat dich anscheinend sehr bewundert.«
    Ihre Tante wandte ihr das Gesicht zu. »Ja. Aber wer weiß, ob seine Bewunderung von Dauer gewesen wäre.«
    »Natürlich wäre sie das. Du bist die Beste aller Frauen.«
    Jane tätschelte Emma die Hand. »Du bist ein wenig voreingenommen.« Dann nahm sie ihr den Brief weg. »Manchmal lese ich ihn nicht einmal, sondern schaue ihn nur an. Als Erinnerung daran, dass ich einmal einen Bewunderer hatte, wenn auch nur kurz. Und hin und wieder, nach einem schlechten Tag oder wenn ich finanzielle Sorgen habe oder wenn mein lieber Bruder und seine Nichte eine Saison lang fortgehen … dann, ja dann erlaube ich mir, darüber nachzudenken, was hätte sein können.«
    »Und was immer noch sein könnte.«
    »Oh nein, dieser Zug ist abgefahren, Emma.« Ihre Tante legte den Brief an seinen Platz, stützte sich auf, um die Kerze auszublasen, und legte sich wieder hin. »Inzwischen hat Mr Farley bestimmt eine passendere Frau gefunden, die eher bereit war, die Rolle der Mrs Farley zu übernehmen.«
    »Aber du weißt es nicht mit Sicherheit, oder?«
    »Nein. Aber ich glaube, dass es so ist. Ich sage es mir immer wieder, um mein törichtes Herz vor der Enttäuschung zu schützen, falls sich diese Tatsache je bestätigt.«
    »Warum schreibst

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